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Der Atlantis-Malta-Schwindel
von Fortia d'Urban und Grognet
von 1828

Ein phönizischer Atlantis-Stein und das Atlantis-Manuskript eines gewissen Eumalos von Kyrene: Fälschungen!

Thorwald C. Franke
© 7.-10. November 2013

[Man beachte: Die deutsche Fassung dieser Internetseite ist inzwischen in gedruckter Form
als Anhang in meinem Buch Kritische Geschichte ... erschienen.]


Im Jahre 1828 erregten zwei spektakuläre Funde die Gelehrtenwelt: Ein auf Malta ausgegrabener Stein zeigte eine phönizische Inschrift, die Atlantis erwähnte, und ein auf Kreta gefundenes Manuskript eines gewissen "Eumalos von Kyrene" zitierte Aussagen über Atlantis aus der verlorenen "Geschichte Libyens" des Aristipp, einem direkten Schüler des Sokrates! Beide Funde besagten, dass Malta die Spitze des untergegangenen Atlantis ist.


Aristippos von Kyrene

Die beiden "Entdecker" waren Agricol-Joseph Marquis de Fortia d'Urban aus Avignon, ein international bekannter Privatgelehrter und Historiker, sowie dessen Bekannter Giorgio Grognet de Vassé, französischer Militärarchitekt und Erbauer der Kathedrale von Mosta auf Malta nach dem Vorbild des Pantheon, deren Kuppel bis heute mit zu den größten freitragenden Kuppeln der Welt gehört. Grognet hatte Malta zu seiner neuen Heimat gewählt und schwärmte für maltesische Geschichte.

Angeblich bereits 1821 wurde das Manuskript des Eumalos von einem Samier namens Ariston in Candia (heute Iraklio) auf Kreta gefunden. Ariston reiste mit einem Freund von Grognet namens Domeni de Rienzi. Grognet soll einen gewissen Pezzali aus Parga damit beauftragt haben, eine italienische Übersetzung des Manuskriptes anzufertigen. – 1826 wurde dann angeblich der Atlantisstein von dem maltesischen Priester Joseph Felix Galea gefunden. Ebenso wie Grognet war Galea mit Fortia in Rom bekannt geworden. Galea habe Grognet und Fortia informiert und den Stein an Grognet übergeben. Im Auftrag von Grognet habe dann ein gewisser Cannolo eine Übersetzung des Steins in Latein angefertigt.

1828 stellte Fortia eine französische Übersetzung des Manuskriptes des Eumalos von Kyrene in zwei Vorträgen vor der Société Asiatique in Paris vor, und verteidigt sich gegen die aufkommende Kritik am Atlantis-Stein und am Manuskript des Eumalos, vgl. Fortia d'Urban (1828).

1830 erschien die erste Auflage des "The Historical Guide to the Island of Malta and its Dependencies" von Giuseppe Pericciuoli Borzesi. Enthalten war die lateinische Übersetzung des Atlantis-Steines von Cannolo. – 1832 erschien in anonymer Herausgeberschaft und immer noch unter der Jahreszahl 1830 eine unveränderte zweite Auflage des "Historical Guide", die um einen Anhang mit der italienischen Übersetzung des Manuskriptes des Eumalos von Kyrene erweitert worden war. Man vermutet, dass Grognet der anonyme Herausgeber war.

Mittlerweile hatte die gelehrte Öffentlichkeit beide Funde als Fälschungen entlarvt. Die Aussagen des Steines und des Manuskriptes enthielten zahlreiche Anachronismen, die ihre Echtheit ausschlossen. Es wurden zudem immer nur Lithographien des Atlantis-Steines sowie die lateinischen, französischen oder italienischen "Übersetzungen" beider Objekte zugänglich gemacht, der Stein und das Manuskript selbst wurden nie vorgezeigt.

Dass der Atlantis-Stein eine Fälschung war, wurde von Fortia eingeräumt, doch wurde die Schuld daran auf Grognet abgewälzt. Grognet hingegen soll niemals zugegeben haben, dass der Atlantis-Stein eine Fälschung war. Der Besitzer des Manuskripts des Eumalos von Kyrene, Ariston, starb angeblich bald, und sein Erbe Domeni de Rienzi wurde – so sagt es Fortia selbst – in Nauplia ausgeraubt und sei über Ägypten nach Indien ausgewandert. Auf diese Weise war das Manuskript "verloren", bevor es irgendjemand begutachten konnte; auch etwaige Zeugen konnten so nicht mehr befragt werden.

Eine gründliche Aufarbeitung des Schwindels wurde 1832 in einem in Berlin gehaltenen Vortrag durch den deutschen Philologen August Boeckh geleistet, der 1833 in lateinischer Sprache in der Zeitschrift "The Philological Museum" in Cambridge erschien. Diese Zeitschrift hatte sich der neuen, vergleichenden Philologie verschrieben, die vor allem in Deutschland entwickelt worden war. Die aus Deutschland kommende Kritik biblischer und klassischer Texte, die mit einem liberalen Verständnis von Religion einherging, stieß damals in Britannien auf den Widerstand konservativer Kräfte.

Boeckh weist Fortia d'Urban die Hauptschuld an dem Schwindel zu. Dieser habe gelehrte Abhandlungen über Geschichte, Chronologie, Geographie und Philologie verfasst und habe deshalb unmöglich auf einen solchen Schwindel hereinfallen können. Zudem weisen die gefälschten Texte auffällige Übereinstimmungen mit Texten aus den Werken von Fortia auf, so z.B. Spekulationen über Atlantis, Ogyges, den babylonischen König Ninus und den biblischen Noah. Grognet hingegen hätte nicht über die Bildung verfügt, um die gefälschten Texte abzufassen. Grognet wird von Boeckh deshalb genau wie der Priester Galea als Handlanger von Fortia d'Urban eingestuft. Boeckh berichtet auch, dass bereits 1824 ein gefälschter phönizischer Stein von Grognet und Fortia präsentiert wurde, allerdings ohne Atlantisbezug.

Weil die Fehlinformationen dieser Fälschungen bereits begonnen hatten, in die etablierte Wissenschaft einzudringen, schrieb Boeckh diese ausführliche Widerlegung. Eine teilweise Aufarbeitung des Schwindels findet sich auch in einem Beitrag der "Melita Historica" von Albert Ganado von 2004.

Unglücklicherweise lebt der Schwindel bis heute als argloser Irrtum fort. Insbesondere der Irrtum über einen antiken Autor, den es nie gab, wiegt schwer. Noch 1907 sah ein gewisser Michael Kröll in den Schriften des Eumalos einen Beleg für Platons Beschreibungen von Atlantis, vgl. Kröll (1907) S. 124. Auch heute noch geistert der Irrtum durch die Atlantisliteratur, vgl. z.B. Mifsud et al. (2000). – Weil die Abhandlung von Boeckh in Latein abgefasst und damit für den durchschnittlichen Leser nicht mehr zugänglich ist, war es an der Zeit, eine zugängliche Widerlegung des Irrtums zu schreiben. Das ist hiermit geschehen.

Die Frage, ob Malta Atlantis war oder nicht, ist damit natürlich noch nicht entschieden. Gerade Boeckh, der hier in der Rolle eines Atlantis-Skeptikers erscheint, war in Wahrheit skeptisch gegenüber dem Atlantis-Skeptizismus. In einem Brief an Alexander von Humboldt schrieb er am 27. März 1833, d.h. ein Jahr nach seinem Vortrag über den Atlantis-Schwindel von Fortia und Grognet: "In Rücksicht der Atlantis kann ich mich auch nicht überzeugen, dass alles fiction des Platon sei". (Werther (2011) S. 61)


Anmerkungen zu Formalia

Die lateinische Schreibung von Eumalos ist Eumalus. Sie wird in der englischsprachigen Literatur bevorzugt. – Häufig wird statt "Eumalos" auch "Eumelos" geschrieben, vermutlich eine Verwechslung mit dem Namen "Eumelos" aus Platons Atlantiserzählung. – Teilweise wird Grognet auch "Grongnet" geschrieben. – Der Marquis de Fortia d'Urban wird alphabetisch unter "Fortia" eingeordnet, das "de" wird nur in Verbindung mit "Marquis de" geschrieben.


Literatur und Links

Boeckh (1832/1833): August Boeckh, De Titulis Quibusdam Suppositis Augusti Boeckhii Prolusio Academica, Vortrag Berlin 8. Januar 1832, in: The Philological Museum Vol. 2 / 1833 (hrsgg. von Julius Charles Hare / Connop Newell Thirlwall, Cambridge); S. 457-467.
http://books.google.de/books?id=RhlPAAAAcAAJ&pg=PA457

Fortia d'Urban (1828): Agricol Joseph F.X.P.E.S.P.A. Marquis de Fortia d'Urban, Discours composé pour la Société Asiatique, par M. le Marquis de Fortia d'Urban, Séance du 7 Janvier / 4 Février 1828, Extrait des Annales de la Littérature et des Arts, 379e/384e livraison, tome XXX. Verlag / Ort unbekannt.
http://books.google.de/books?id=XexRcJardwYC

Ganado (2004): Albert Ganado, Bibliographical notes on Melitensia 2, in: Melita Historica – Journal of the Malta Historical Society No. 14 / 2004; S. 67-93.
http://melitensiawth.com/incoming/Index/Melita%20Historica/MH.14(2004-07)/MH.14(2004)1/orig04.pdf

Kröll (1907): Michael Kröll, Die Beziehungen des klassischen Altertums zu den hl. Schriften des Alten und Neuen Testamentes, Band 1, 2. überarbeitete Auflage, Verlag Carl Georgi, Bonn 1907.
https://archive.org/stream/diebeziehungend00krgoog#page/n396/mode/2up

Mifsud et al. (2000): A. Mifsud / S. Mifsud / C. Agius Sultana / C. Savona-Ventura, Malta – Echoes of Plato's Island, published by The Prehistoric Society, Malta, 2000. 2nd slighlty revised edition 2001.
http://atlantipedia.ie/samples/malta-echoes-of-platos-island-2/

Pericciuoli Borzesi (1830): Giuseppe Pericciuoli Borzesi, The Historical Guide to the Island of Malta and its Dependencies, Government Press, Malta 1830.
https://archive.org/stream/historicalguide00borzgoog#page/n62/mode/2up
(Ein Exemplar mit dem Anhang von 1832 ist im Internet nicht verfügbar.)

Reiffenberg (1844): Frédéric Auguste Ferdinand Thomas de Reiffenberg, Notice sur le Marquis de Fortia-d'Urban, Extrait de l'Annuaire de L'Académie royale de Bruxelles pour 1844, Verlag M. Hayez, Bruxelles 1844.
http://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10063237_00001.html

Werther (2011): Romy Werther (Hrsg.) / Eberhard Knobloch (Mitarbeit), Alexander von Humboldt / August Böckh – Briefwechsel, Band 33 der Reihe: Beiträge zur Alexander-von-Humboldt-Forschung, hrsgg. von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Akademie-Verlag, Berlin 2011.
http://books.google.de/books?id=qLLQF_JSefoC

Hilfreiche Links:
http://fr.wikipedia.org/wiki/Agricol-Joseph_Fortia_d'Urban
https://de.wikipedia.org/wiki/Rotunda_von_Mosta
https://de.wikipedia.org/wiki/Aristippos_von_Kyrene
http://de.wikipedia.org/wiki/August_Boeckh
http://www.cambridge.org/ae/academic/subjects/classical-studies/classical-literature/philological-museum
http://www.atlantis-scout.de/


PS: Antwort von Anton Mifsud

Als Antwort auf diesen Artikel veröffentlichte Anton Mifsud am 1. Januar 2014 den folgenden Text auf Atlantipedia.ie:
http://atlantipedia.ie/samples/document-010114b/

Es bleibt dem Leser überlassen, sich eine eigene Meinung zu bilden.


PS: Englische Übersetzung von Jason Colavito

Jason Colavito stellte am 30.03.2015 eine englische Übersetzung von Fortia d'Urbans Vortrag mit dem "Originaltext" von Eumalos zur Verfügung:

Siehe die Einführung auf Jason Colavitos Blog:
http://www.jasoncolavito.com/blog/eumalos-of-cyrene-and-the-nephilim-of-atlantis

Direkter Link zur Übersetzung:
http://www.jasoncolavito.com/eumalos-on-atlantis-hoax.html


PS: Ingrid Rowland

Inzwischen hat Ingrid D. Rowland ein ganzes Buchkapitel zum Thema geschrieben, in dem sie auf diese Internetseite verweist. Es ist hier zu finden:

Rowland (2021): Ingrid Rowland, The Atlantic Visions of Giorgio Grognet de Vassé (1774–1862), Maltese Forger, Architect, and Antiquarian, chapter 4 in: Jennifer Cochran Anderson / Douglas N. Dow (Hrsg.), Visualizing the Past in Italian Renaissance Art – Essays in Honor of Brian A. Curran, Band 53 der Reihe: Brill’s Studies on Art, Art History, and Intellectual History, Verlag Brill, Leiden / Boston 2021; S. 80-107.

Man findet es z.B. auch bei Google Buchsuche!



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