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Der wissenschaftliche Bias des BMCR-Reviews

Thorwald C. Franke
© 28. Juni / 19. Juli 2021


Die Bryn Mawr Classical Review (BMCR) ist eine etablierte akademische Publikation von wissenschaftlichen Rezensionen. Jeder kann die e-mails mit den Rezensionen abonnieren, und zwar kostenlos. Es ist wirklich nützlich und sehr lehrreich, wenn man die Rezensionen über die Jahre hinweg verfolgt. Man kann es nur empfehlen. Auch das Bryn Mawr College selbst ist eine Institution von Tradition und Wert. Die Welt kann froh sein, dass es ein solches College gibt.

https://bmcr.brynmawr.edu/
https://de.wikipedia.org/wiki/Bryn_Mawr_College



Es war im Jahr 2012, als ich zwei Bücher in englischer Sprache veröffentlichte und Kopien an BMCR schickte. Das eine war mein eigenes Buch Aristotle and Atlantis, das andere die Übersetzung von Gunnar Rudbergs Atlantis and Syracuse. Ich war neugierig, ob BMCR eine Rezension publizieren würde, oder aus welchen Gründen sie es ablehnen würden.

Ich habe keine Antwort erhalten. Wochen vergingen, und im Dezember 2012 wagte ich zu fragen, ob meine Bücher angekommen seien? Ich hatte mich nicht beschwert. Ich hatte nur gefragt. Und ich hatte geschrieben: "Thank you for answering!" Ich habe nie eine Antwort bekommen. Ich halte die Kultur des Nichtantwortens auf freundliche, vernünftige und berechtigte Fragen für zutiefst antihumanistisch. Wie wollen solche Institutionen den Geist des Humanismus in unserer Gesellschaft verbreiten?

Und man beachte, dass eines der beiden Bücher ein Buch eines "echten" und renommierten Wissenschaftlers war, nämlich Gunnar Rudberg. Zumindest für dieses Buch hätte ich wirklich gerne zumindest einen Grund bekommen, warum sie es nicht akzeptieren. Die russische Zeitschrift ΣΧΟΛΗ hatte offensichtlich kein Problem, eine Rezension über dieses Buch zu publizieren. Und das andere Buch, Aristotle and Atlantis, brachte Wissenschaftler dazu, ihre Positionen zu überdenken. Dieses Buch, das – nebenbei bemerkt – ausdrücklich darauf verzichtete, eine Behauptung über Atlantis als realen Ort aufzustellen, hatte in der Tat einen realen Einfluss auf Wissenschaftler (z.B. Prof. Nesselrath gab dies zu, anderen änderten ihre Argumentation stillschweigend). Aber nein, es gab keine Rezension auf BMCR. Nicht einmal eine Antwort auf meine bescheidene e-mail.



Im August 2018 erfuhr ich, dass BMCR ein offensichtlich pseudowissenschaftliches Buch über Atlantis in sein Rezensionsprogramm aufgenommen hatte, herausgegeben von einem zweitklassigen akademischen Verlag, der noch eine ganze Reihe weiterer fragwürdiger Bücher in seinem Katalog hat. Es kostete stolze EUR 85.00 (ca. USD 100.00). Prof. Nesselrath hatte sich der Mühe unterzogen, eine Rezension zu verfassen, siehe hier.

Warum nahm BMCR dieses Buch zur Rezension an? Weil es ein Verlag war, der als "akademisch" gilt, obwohl er es nicht so richtig ist? Oder weil der Autor den akademischen Grad "Dr" hat? Ist es das? Weder Verlag noch Grad ändern etwas an der pseudowissenschaftlichen Qualität dieses Buches. Und ohne BMCR hätte ich nie von diesem schlechten, unwichtigen Buch erfahren. BMCR hat diesem Buch unnötigerweise eine Plattform geboten.



Im Jahr 2019 wurde langsam klar, dass BMCR niemals eine Rezension über ein bestimmtes, 2017 erschienenes Atlantis-Buch publizieren würde. Es wurde von einem Oxford-Wissenschaftler geschrieben und in großen Stückzahlen verkauft. Im Jahr 2018 wurde das gleiche Buch für den US-Markt veröffentlicht, und wieder wurde es in großen Stückzahlen verkauft. Aber nach zwei Jahren Wartezeit wurde klar, dass BMCR dieses Buch ignoriert. Es ist nie eine Rezension über dieses Buch erschienen.

Warum hat BMCR es unterlassen, eine Rezension über dieses Buch zu publizieren? Es ist ein Buch gegen Atlantis als einen realen Ort, es ist von einem Oxford-Wissenschaftler mit der Autorität eines Oxford-Wissenschaftlers geschrieben, und es wurde in großen Stückzahlen verkauft. Das sollte Grund genug sein, eine Rezension zu publizieren. Leider war das Buch von schlechter Qualität, siehe eine Rezension hier. Ist es möglich, dass eine Rezension vermieden wird, weil die Rezension die schlechte Qualität des Buches aufdecken würde? Dass befürchtet wird, eine Rezension könnte Andersdenkenden in die Hände spielen? Ist es das?



Im April 2020 gab es eine BMCR-Rezension über das selbstveröffentlichte Amazon Kindle-Buch Joining the dots - Plato's Atlantis in the Central Mediterranean von Tony O'Connell. Wieder war es Prof. Nesselrath, der eine Rezension schrieb, siehe hier.

Warum hat BMCR dieses Buch zur Rezension angenommen? Ich habe mich getraut, sie zu fragen, warum, und sie antworteten – sie antworteten tatsächlich! – dass sie eine Rezension über dieses Buch nicht deshalb geschrieben haben, weil es ihnen angeboten wurde, sondern weil "a member of the editorial board suggested that it was worthy of review, as intelligent but flawed." Im Allgemeinen würden sie keine selbstveröffentlichten Bücher auflisten, fügten sie hinzu. Und dann schrieben sie: "BMCR receives a large number of email about books that we have not listed, and we try to exercise both respect and caution in accepting or declining these." (e-mail an mich vom 04.09.2020)

Als ich diese Nachricht erhielt und den erstaunlichen Anspruch sah, alle Autoren mit Respekt zu behandeln, nutzte ich die Gelegenheit dieser Antwort (dies war mein erster erfolgreicher Kontakt mit BMCR!), um auf freundliche und nachdenkliche Weise mitzuteilen, was mir 2012 passiert war und dass ihre Methode der Buchauswahl problematisch ist. Daraufhin wieder keine Antwort. Nur Schweigen. Nicht einmal eine formale Entschuldigung.



Im Juni 2021 kündigte ich die Veröffentlichung meines neuen Buches Platonische Mythen per e-mail an. Ehrlich gesagt war mir nicht bewusst, dass BMCR in meinem e-mail-Verteiler war. Aber sie waren es, und unerwartet haben sie geantwortet! Die Antwort war: "Thank you very much for the message. BMCR seeks to review only books that have been subject to peer-review prior to publication. The only consistent exception that we make concerns translation."

Jetzt hatte sich der Kreis des Aberwitzes geschlossen: Jetzt also plötzlich die Forderung nach einem Peer Review. Aber Bücher werden in aller Regel keinem Peer Review unterzogen. Artikel in wissenschaftlichen Zeitschriften schon. Bücher nicht. Akademische Bücher werden von akademischen Verlagen herausgegeben, die Mitarbeiter mit Fachwissen haben. Vielleicht haben sie einen wissenschaftlichen Beirat, den sie um Rat fragen. Oder die wissenschaftlichen Kollegen des Autors werfen einen Blick auf das Buch. Aber all das ist nicht mit einem echten Peer Review zu vergleichen. Die meisten Bücher bei BMCR wurden ganz klar nicht einem Peer Review unterzogen.

Und dann der Anspruch, bei Übersetzungen Ausnahmen zu machen. Offensichtlich haben sie bei der Übersetzung von Gunnar Rudbergs Buch keine Ausnahme gemacht. Ich gebe zu, dass meine Antwort diesmal nicht so freundlich ausfiel wie meine früheren e-mails an BMCR.



Zusammenfassung und Schluss


Fassen wir zusammen, was wir haben: BMCR behauptet, keine selbstveröffentlichten Bücher zu akzeptieren, aber es wurde ein solches Buch rezensiert. BMCR behauptet, nur in einem Peer Review begutachtete Bücher zu akzeptieren, aber abgesehen von der Frage, was das genau bedeutet, rezensieren sie tatsächlich Bücher, die keinen Peer Review durchlaufen haben. BMCR behauptet, Übersetzungen zu akzeptieren, hat aber die Übersetzung von Gunnar Rudberg nicht akzeptiert. BMCR behauptet, schlechte Atlantisbücher, die eine gewisse Intelligenz haben, zu rezensieren, um sie zu widerlegen, aber gleichzeitig wurde vermieden, eine Rezension über ein schlechtes Buch eines Atlantis-skeptischen Oxford-Wissenschaftlers zu publizieren. Sie behaupten, jeden Autor mit Respekt zu behandeln, haben dies aber in meinem Fall nicht getan, und nicht nur einmal. Und derselbe Wissenschaftler, der zugibt, dass seine wissenschaftliche Sichtweise durch eines meiner Bücher beeinflusst (!) wurde, schreibt BMCR-Rezensionen über andere Atlantis-Bücher, aber meine Bücher werden nicht rezensiert. Lange Rede, kurzer Sinn: BMCR handelt willkürlich und macht sich unglaubwürdig. Sie haben versemmelt, was man nur versemmeln konnte. Und es war nicht ich, der sie aufs Glatteis geführt hat. Das haben sie ganz selbst gemacht.

Die willkürliche Auswahl der zu rezensierenden Bücher ist nicht gut für die Wissenschaft. Denn eine willkürliche Art und Weise, Bücher auszuwählen, kann zu einem systematischen Bias führen. Es kann passieren, dass bestimmte Bücher zu bestimmten Themen durch diese Methode unterdrückt werden. Zum Beispiel ist es möglich, dass kraftvollere Bücher, die einer bevorzugten Meinung zuwiderlaufen, nicht berücksichtigt werden, eben weil sie kraftvoller sind. Eher schwache oder gar pseudowissenschaftliche Bücher, die eine unerwünschte Meinung vertreten, werden stillschweigend bevorzugt, weil es leicht ist, eine schlechte Rezension über sie zu schreiben. Auf der anderen Seite werden Bücher, die die bevorzugte Meinung nur schwach repräsentieren, mit Schweigen übergangen.

Letztendlich gibt es im gegenwärtigen akademischen Betrieb eine gewisse Tendenz, die Atlantisfrage zu sehr zu vereinfachen, indem man allzu einfache Antworten nach vorne stellt und die ernsteren Fragen im Hintergrund behält. Das Ergebnis ist eine Wissenschaft ad usum delphini. Schlimmer noch: Pseudowissenschaftlichen Büchern wird eine Plattform gegeben, und Bücher von besserer Qualität aber mit der "falschen" Meinung werden verschwiegen. Es wird das Spiel "Atlantisbefürworter können nur dumm sein" gespielt.

BMCR sollte versuchen zu vermeiden, an diesem Spiel teilzunehmen. BMCR sollte auf eine unparteiische Weise auf die wissenschaftliche Substanz von Büchern achten. Dann wird auch wieder die Glaubwürdigkeit hergestellt sein, die der Institution BMCR einzig angemessen ist.



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