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Theodor Gomperz über Atlantis

Gomperz zeigt die Möglichkeit einer verzerrten historischen Überlieferung
hinter Platons Atlantiserzählung auf

© März 2017 Thorwald C. Franke


Theodor Gomperz (1832-1912) war Professor für Klassische Philologie in Wien und ist uns heute vor allem als Autor des dreibändigen Werkes "Griechische Denker" in Erinnerung, das immer noch erstaunlich modern ist und zur Lektüre empfohlen werden kann: Denn als klassischer Liberaler war Gomperz mit den neuesten wissenschaftlichen Entwicklungen seiner Zeit bestens vertraut, die auch heute noch unserem naturwissenschaftlichen Weltbild zugrunde liegen: Evolutionslehre, Psychologie, Religionskritik, Ethnologie, Ökonomie, Atomphysik und Astrophysik. Gomperz stand mit Vordenkern der Moderne wie z.B. Sigmund Freud oder Ernst Mach in persönlichem Kontakt.


Bild: Theodor Gomperz Medaille, 1892.

In seinem Werk "Griechische Denker", das in mehrere Sprachen übersetzt wurde, kommt Gomperz auch auf Platons Atlantiserzählung zu sprechen, die er einen "historischen Roman" nennt (Band II Kapitel XIX S. 464-470).

Aber anders als andere Wissenschaftler seiner Zeit, die bereits fest an eine Erfindung der Atlantiserzählung durch Platon glaubten, geht Gomperz davon aus, dass Platon im Fall von Ur-Athen tatsächlich auch selbst an seine Ausführungen glaubte: "Platon glaubte wesentliche Züge seines Staatsideals in der grauen Vorzeit seiner Heimat wiederzufinden." Die Belege, die Platon dafür aufzählt, dienen laut Gomperz nicht der Täuschung, sondern sind ernst gemeint. Und wo Platon die angeblich historische Vorlage ausgestaltete, tat er das nicht willkürlich, sondern fühlte sich an den vorgegebenen Rahmen gebunden. Da Gomperz nicht davon ausgeht, dass es eine solche Vergangenheit Athens gab, spricht er von "Selbsttäuschungen" Platons.

Erst wenn es um Atlantis geht, glaubt Gomperz, von einer frei erfinderischen Fiktion sprechen zu dürfen, an die Platon selbst nicht mehr glaubte: Die "überkühne Fiktion" von Atlantis verdanke sich der belehrenden Absicht Platons und der "Lust zu fabulieren".

Doch am Ende seiner Ausführungen zu Platons Atlantiserzählung macht Gomperz dann überraschenderweise die Tore weit auf für die Möglichkeit, dass auch Atlantis keine Fiktion, sondern Historie ist – sogar echte Historie, und nicht nur eine "Selbsttäuschung" wie Ur-Athen! Denn Gomperz hält es für möglich, dass insbesondere die Seevölkerkriege, von denen uns die alten Ägypter berichten, einen historischen Hintergrund für Atlantis bilden. Und damit gesteht Gomperz Atlantis zu, womöglich über einen historisch weitaus fundierteren Hintergrund zu verfügen als Ur-Athen. Und dass Platon womöglich tatsächlich eine echte historische – natürlich verzerrte – Überlieferung aus Ägypten kannte.

Das ist auch vollkommen richtig von Gomperz gedacht: Denn nur wenige Jahre später stellte K.T. Frost 1913 fest: "The whole description of the Athenian state in these dialogues seems much more fictitious than that of Atlantis itself." (Frost (1913) S. 195)


Bild: Theodor Gomperz, Gemälde von Franz von Lenbach, 1900.

Leider spricht Theodor Gomperz nicht allzu deutlich aus, was er mit diesen vorsichtigen Worten und im Widerspruch zum nur wenige Zeilen zuvor gesagten formulierte:

Bei flüchtigen Lesern bleibt aber leider nur der Eindruck hängen, dass Platons Atlantiserzählung nur ein "historischer Roman" bestehend aus "Selbsttäuschung" und "überkühner Fiktion" sei. "Also auf jeden Fall ist es nicht wahr!", so denkt der flüchtige Leser. Doch das ist nicht das, was Gomperz schrieb.

Externe Links:

https://de.wikipedia.org/wiki/Theodor_Gomperz
https://de.wikipedia.org/wiki/Seevölker

Literatur:

Gomperz (1896/1902/1909): Theodor Gomperz, Griechische Denker – Eine Geschichte der antiken Philosophie, 3 Bände, Verlag von Veit & Co., Leipzig 1896/1902/1909. – Englische Ausgabe: Greek Thinkers – A History of Ancient Philosophy, three volumes, translated by Laurie Magnus (1901) and G.G. Berry (1905), published by Charles Scribner's Sons, New York 1901/1905/1905. NB: Die Bände sind in der Übersetzung anders aufgeteilt.

Frost (1913): K.T. Frost, The Critias and Minoan Crete, in: The Journal of Hellenic Studies Vol. 33 / 1913; S. 189-206.


Gomperz' Text:










Die Fußnoten wurden weggelassen!

Quelle:
Theodor Gomperz, Griechische Denker, Band II, 1902, S. 464-470.



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