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Tom Holland über Platons Atlantis

Wo der populäre Historiker es vermasselt hat und wo nicht

Thorwald C. Franke
© 29. März 2023


Tom Holland ist kein Historiker von Beruf, aber er hat Geschichte studiert und populäre Sachbücher über Geschichte mit einer solchen Genauigkeit und Kunst geschrieben, dass er die Bezeichnung Historiker verdient. Vor allem aber ist Tom Holland ein Intellektueller, der uns einige recht intelligente Perspektiven auf unsere Geschichte eröffnet hat. Tom Holland hat ein Wörtlein mitzureden, wenn es darum geht, wie wir uns heute angesichts der Geschichte definieren, und das will etwas heißen. Tom Holland hat nicht nur den antiken Historiker Herodot übersetzt, sondern auch über Persien und Rom publiziert, und nicht zuletzt ein sehr bemerkenswertes Buch über die historisch-kritische Deutung der Quellen zum frühen Islam geschrieben. Das alles ist für uns von großem Interesse, weil es Tom Hollands Vertrautheit mit historischer Kritik und mit der Antike eindrucksvoll demonstriert. Tom Holland ist gewissermaßen prädestiniert für ein tieferes Verständnis von Platons Atlantisgeschichte.

Nun hat sich Tom Holland in zwei Episoden der Podcast-Reihe "The Rest Is History" zu Platons Atlantis geäußert. In diesen Podcasts wird Tom Holland von dem bekannten Historiker und Medienmoderator Dominic Sandbrook begleitet. Beide gehen auch zusammen in Live-Shows auf Tournee.

Genereller Eindruck

Was denkt der große Tom Holland über Platons Atlantis? Zu unserer großen Enttäuschung scheint Tom Holland alles vergessen zu haben, was er jemals über die historisch-kritische Deutung antiker Texte gehört hat, wenn es um Platons Atlantis geht. Für ihn ist Atlantis eine reine Erfindung Platons (Ep01 33:17), eine politische Allegorie auf Regierungsformen, eine Anspielung auf die Siege Athens über die Perser, auf den Peloponnesischen Krieg zwischen Athen und Sparta, auf die Sizilische Expedition Athens gegen Syrakus und nicht zuletzt auf den symbolischen Kampf eines guten Athens mit einem schlechten Athen. Da Tom Holland die Atlantisgeschichte als "Parodie" der Geschichte bezeichnet (Ep01 35:44), und da Tom Holland der Meinung ist, dass Platons Publikum eindeutig verstanden hat, dass es sich um eine fiktionale Geschichte handelt (Ep01 41:50), wird deutlich, dass die Atlantisgeschichte für Tom Holland eine fiktionaler Text war, der als solcher für die antiken Leser durchschaubar war.

Ein Grund für dieses sehr einseitige Urteil mag sein, dass diese beiden Podcasts als Diskussion und Kritik an Graham Hancocks Ansichten über Atlantis gedacht waren. Nun, Graham Hancocks Ansichten sind definitiv Pseudohistorie. Aber um das zu verdeutlichen, wäre es nicht nötig gewesen, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Das Gegenteil ist der Fall: Um Graham Hancocks wortwörtliche Lesart von Platons Atlantis zu entlarven, wäre es sehr hilfreich gewesen, eine historisch-kritische Lesart der Atlantisgeschichte aufzuzeigen. Aber Tom Holland versagt dabei völlig und wendet selbst eine wortwörtliche Lesart an.

Dieser Podcast ist voll von Lachern über Platon und über Leser von Platon, die es wagen, nicht zu erkennen, dass die Atlantisgeschichte "offensichtlich" eine Erfindung ist. Das ist wirklich enttäuschend. Mit der gleichen Methode könnte Tom Holland über die frühe islamische Geschichte lachen und den Propheten Mohammed für "offensichtlich" nicht-existent erklären, da es so viele Widersprüche und unglaubliche Elemente in den Textquellen gibt, da es an archäologischen Beweisen mangelt und da die Geschichte "aus dem Nichts" kommt. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Tom Holland so etwas nie tun würde! Aber er tut es bei Platon und Atlantis.

Vermasselt: Keine historisch-kritische Lesart der 9.000 Jahre

Tom Holland nimmt das Alter von Atlantis von 9.000 Jahren ohne weiteres als gegeben hin und reflektiert dessen Bedeutung nicht im historischen Kontext. Da er die Geschichte von Atlantis für eine Erfindung hält, sagt er, dass "this is when Plato was setting the story of Atlantis" (Ep01 26:03). Er zieht die Möglichkeit nicht in Betracht, dass sich dieses Datum nicht einem "setting" von Platon verdankt. Tom Hollands Argument zur Überlieferung einer Geschichte über Jahrtausende hinweg lautet, sie sei "as improbable as the idea that Plato is actually transcribing an actual story" (Ep02 41:26). Das zeigt, dass er die Atlantisgeschichte aufgrund dieser Unwahrscheinlichkeit für eine Erfindung hält. Für Tom Holland ist die Zahl von 9.000 Jahren eines der Argumente, warum die Geschichte von Atlantis nicht wahr sein kann. Denn die Überlieferung einer historischen Tradition wie der Atlantisgeschichte ist über viele Jahrtausende nicht plausibel, vor allem nicht ohne die Technik der Schrift.

Aber hat Tom Holland nicht Herodot übersetzt? Er hat. Herodot sagt, dass Ägypten über 11.340 Jahre alt ist. Und Tom Holland streift kurz Platons Dialog Nomoi. Hier spricht Platon von einem Alter Ägyptens von mindestens 10.000 Jahren. Diese Zahlen sind natürlich falsch. Aber das ist es, was Herodot und Platon und alle alten Griechen glaubten. Und vor dem Hintergrund dieses kollektiven Irrtums muss auch das Alter von Atlantis interpretiert werden. Wenn Ägypten nicht 11.340+ Jahre vor Solons und Platons Zeit gegründet wurde, sondern in Wahrheit um 3.000 v.Chr., dann weisen die 9.000 Jahre von Atlantis, die auf eine Zeit nach den 11.340+ Jahren hinweisen, logischerweise auf eine Zeit nach 3.000 v.Chr. hin. Und das gilt selbst dann, wenn Platon die Geschichte von Atlantis erfunden hat. Einige Wissenschaftler haben dies erkannt. Tom Holland sollte das auch erkennen.

Und was folgt aus dieser Erkenntnis? Dass das Argument in sich zusammenfällt, dass die 9.000 Jahre gegen die Realität von Platons Atlantis sprechen. Denn eine ägyptische geschichtliche Überlieferung aus ägyptischer Zeit ist viel plausibler, da zu dieser Zeit die Technik der Schrift bereits erfunden war. Nebenbemerkung: Die 8.000 Jahre, die in Platons Atlantisgeschichte erwähnt werden, beziehen sich nicht auf Ägypten, sondern auf die Stadt Sais.

Vermasselt: Verleugnung jeder Spur einer Herkunft der Geschichte

Tom Holland zufolge taucht die Atlantisgeschichte aus dem Nichts auf, während sich die tatsächlichen historischen Überlieferungen auf frühere Quellen und Traditionen zurückführen lassen: "But with Atlantis, we know exactly who is the first person to discuss it. And it is the Greek philosopher Plato" (Ep01 05:12). Noch deutlicher: "No one even kind of alludes to a story that might be kind of mistaken for Atlantis before Plato." (Ep01 06:57)

Aber was ist mit der Quelle, die Platon selbst ausdrücklich erwähnt, den Ägyptern? Ist es unmöglich, dass die Ägypter den Griechen eine solche Geschichte übermittelt haben, zumal wir wissen, dass die 9.000 Jahre auf eine Zeit hinweisen, in der Ägypten bereits existierte? Nein, es ist nicht unmöglich, ganz und gar nicht. Tom Holland selbst verweist auf Platon, dass "Egypt uniquely has been proof against all these various natural disasters that have overwhelmed humanity because they have the Nile." (Ep01 26:03) Und da Tom Holland Herodot übersetzt hat, weiß er, dass solche Ideen in Ägypten und über Ägypten tatsächlich existierten. Das ist es, was Platon wirklich glaubte, und daher ist es nur natürlich, dass Platon die Idee hatte, dass ägyptische Quellen Zugang zu Informationen über Zeiten gewähren, die für die Griechen Vorgeschichte sind. Eine nicht ganz abwegige Vorstellung.

Falsch ist auch, dass es keine Spuren einer historischen Tradition vor Platon gibt, auf die die Geschichte zurückgreifen könnte. Völlig unerwähnt lässt Tom Holland z.B. die Hyksos oder die Seevölker zur Zeit des Kollaps am Ende der Bronzezeit, von denen wir aus ... ägyptischen Quellen wissen. Und auch Informationen über die minoische Kultur könnten über die Ägypter zu Platon gekommen sein. Es ist daher unsinnig, wenn Tom Holland die minoische Hypothese mit den Worten zurückweist: "there's no evidence for it in any Greek myth or any Greek story beforehand" (Ep01 35:15). Tom Holland behauptet, dass "we have no evidence at all for anything that links the destruction of Thera ... to the time of Plato, which is kind of thousand years and more after it", und fragt: "But how is that story passed?" (Ep02 35:10) Auch hier bleiben die Ägypter als Möglichkeit unerwähnt. Aber Tom Holland gibt zumindest zu, dass viele Merkmale der minoischen Kultur "all very Atlantis" sind (Ep02 32:16) und widerspricht damit seiner eigenen Behauptung, es gäbe keine Spuren historischer Traditionen, auf die die Atlantisgeschichte zurückgreifen könnte.

Auch Tom Hollands Kritik, dass die minoische Kultur nicht exakt wie Platons Beschreibung von Atlantis aussieht, atmet nicht den Geist der historischen Kritik. Tom Holland sagt sogar, dass "neither Crete nor Santorini remotely resemble Plato's description of it" (Ep02 35:33), oder es gefällt ihm nicht, dass "Crete or Thera ... is not in the Atlantic. So that's a major problem" (Ep02 34:18). Zugegeben, das sind Argumente, aber keine großen Probleme. Wer weiß, was die alten Ägypter meinten, als sie von einer Insel des Atlas in einem Meer an einer Meerenge sprachen? Der Ausdruck "Säulen des Herkules" war sicher nicht im ägyptischen Originaltext enthalten, so viel ist sicher.

Desmond Lee hatte bessere Antworten als Tom Holland, als er 1971 in seinem "Appendix on Atlantis" schrieb: "But Solon might have heard a story of a powerful island people overwhelmed by some natural disaster; and perhaps of its involvement at one point in an unsuccessful war". Desmond Lee sah sogar verblüffende Ähnlichkeiten mit einem Ort auf Kreta: "It is tempting, as one stands on the site of Phaestos, looking over the plain of Messara, to suppose that this is the low hill on which the citadel of Atlantis was built, that Phaestos was Atlantis and the plain of Messara (with suitable irrigation works) the 'most beautiful of all plains' described by Plato." Aber Tom Holland ist pingelig und beschwert sich, denn es gibt "no canals, no kind of, you know, walls going around it. I mean, it's terrace style. No elephants." usw. usw. (Ep02 36:01) Wenn man Tom Hollands sehr starke Behauptung bedenkt, dass es nicht die geringsten Spuren einer historischen Tradition gibt, auf die sich die Geschichte stützen könnte, dann ist diese starke Behauptung nicht überzeugend.

Daher ist die minoische Hypothese nicht nur "posh pseudoarchaeology", wie Tom Holland sie verunglimpfen will (Ep02 00:36:16), obwohl die minoische Hypothese natürlich gleichzeitig nicht die letzte Offenbarung zum Thema ist, sondern ihre Probleme und Fehler hat. Zumindest können wir sagen, dass die minoische Hypothese immer noch sehr nützlich ist, um ein Verständnis dafür zu entwickeln, was in der Atlantisfrage realistisch ist und was offensichtlicher Unsinn ist.

Vermasselt: Typische Irrtümer der Erfindungshypothese

Wie die meisten Anhänger der Erfindungshypothese überspringt Tom Holland eine sehr wichtige Wendung in der Handlung zu Beginn des Timaios, nämlich dass Sokrates zunächst plant, eine Geschichte zu erfinden, um seine Forderung zu erfüllen, den Idealen Staat in Aktion zu sehen – und erst nach diesem Vorschlag kommt Kritias und sagt, er habe etwas besseres: eine reale Geschichte (Ep01 23:09). Diese Wendung der Handlung von einer erfundenen Geschichte zu einer realen Geschichte wird oft übergangen, weil sie der bevorzugten Lesart einer erkennbaren Erfindung zuwiderläuft und wesentlich mehr Erklärungen erfordert, um die Idee einer Erfindung zu retten. Die Erfindungshypothese ist nicht ohne Schwierigkeiten, und Occams Rasiermesser bedroht nicht nur Existenzhypothesen. Nichts zeigt dies besser als die notorische Auslassung dieser Wendung in der Handlung durch viele Anhänger der Erfindungshypothese. Sie wissen, warum sie nicht darüber sprechen.

Dann wird das Urteil von Sokrates, dass eine reale Geschichte besser ist als eine erfundene, von Tom Holland ins Lächerliche gezogen und als durchsichtige Ironie dargestellt (Ep01 29:32). Dominic Sandbrook beteiligt sich an der Verspottung: "Well, I mean, Socrates said it was true. Graham Hancock said it is true. Who am I to disagree?" (Ep01 33:12) Es kommt Tom Holland nicht in den Sinn, dass das Urteil des Sokrates einfach plausibel ist: Natürlich ist eine reale Geschichte besser als eine erfundene, wenn man etwas demonstrieren will. Es ist nur seltsam, wenn Tom Holland zehn Minuten später sagt: "Socrates is absolutely right that there is no point in talking about an ideal city if you can't show that it would actually function within an actual narrative" (Ep01 41:50). Warum "narrative"? Wer lässt sich schon von einem erfundenen Narrativ überzeugen? Es gibt einen Grund, warum Sokrates den Vorschlag des Kritias für eine reale Geschichte akzeptiert hat. Weil eine reale Geschichte besser ist als eine erfundene.

Seltsamerweise sagt Tom Holland selbst sehr viel später, gegen Ende der zweiten Episode, dass "Graham Hancock is kind of being true to the story there", wenn es um die Katastrophen geht, die Zivilisationen auslöschen (Ep02 45:16), und dass Platons Publikum "would have found it much easier to to recognise Graham Hancock's 'Ancient Apocalypse', as being true to the story." (Ep02 46:56). Wie das? Tom Holland zufolge ist Platons Atlantisgeschichte angeblich eine durchsichtige Parodie, während Graham Hancock eine reale Geschichte erzählen will. Irgendwie hält Tom Holland Platons Geschichte hier für eine reale Geschichte. Ein Freudscher Versprecher? Vielleicht aber auch nur ein Missverständnis im gesprochenen Wort.

Wie viele Anhänger der Erfindungshypothese zieht Tom Holland es vor, im Dialogteilnehmer Kritias den Tyrannen Kritias zu erblicken, und das ohne weiteres Zutun (Ep01 14:06; 15:34; 23:09). Es gibt keine Diskussion über die chronologischen Schwierigkeiten, die sich daraus ergeben, keine Diskussion über den älteren Kritias, keine Diskussion darüber, dass der Dialogteilnehmer Kritias als vollwertiger Philosoph akzeptiert wird, ein Titel, den Platon dem Tyrannen Kritias niemals zugestanden hätte. Während Wissenschaftler mehr und mehr dazu neigen, die Identität des älteren Kritias zu akzeptieren, wenn auch manchmal widerwillig, hält Tom Holland am Tyrannen fest.

Wie immer bei Erfindungshypothesen wird die Kette der Überlieferung der Atlantisgeschichte durch mündliche Tradition nach Art des Kinderspiels "telephone" lächerlich gemacht (Ep01 25:31). Dabei wird völlig übersehen, dass bei Platon auch von einer schriftlichen Überlieferung die Rede ist, beginnend bei den Ägyptern und endend mit dem Dialogteilnehmer Kritias. Die Kette der mündlichen Überlieferung ist ein literarisches Mittel, um eine reale Geschichte in einen fiktionalen Dialog einzuführen. Die schriftliche Überlieferung ist dabei das entscheidende.

Und natürlich wird die Atlantisgeschichte als "completely fantastical, and yet at the same time, completely true" (Ep01 23:09), als "mad and true" (Ep01 24:28) und als "utterly fabulous and completely true" (Ep01 24:40) dargestellt. Hier stoßen wir auf mehr als ein Missverständnis seitens Tom Holland. Erstens ist die Geschichte von Atlantis weder fantastisch, noch verrückt, noch märchenhaft. Es gibt darin keine Magie, keine Wunder und keine Monster. Auch die Elefanten sind ganz reale Lebewesen. Es gibt nur Götter als Gründerväter, aber die gibt es in jeder realen Stadt der antiken Welt. Und zweitens hat Tom Holland übersehen, dass Kritias die historische Überlieferung ausdrücklich um den vollen Idealstaat ergänzt, was wiederum bedeutet, dass die historische Überlieferung nicht den vollen Idealstaat enthielt. Und nur diese wird als wahr bezeichnet, nicht die ergänzte Version. Es wird überhaupt nicht behauptet, dass es eine historische Überlieferung gäbe, die mit Platons Idealzustand genau übereinstimme.

Tom Holland zufolge soll Atlantis Europa und Asien erobert haben (Ep01 28:14). Aber was ist "Asien" hier? Umfasst es auch Afrika? Um genau zu sein, ist die Atlantisgeschichte in diesem Punkt nicht eindeutig. In der Atlantisgeschichte gibt es einen klaren Widerspruch: Manchmal zählt Afrika zu Asien, manchmal nicht. Wie kann das sein bei einer völlig erfundenen Geschichte? Und Tom Holland hat einen weiteren Widerspruch in der Atlantisgeschichte völlig unerwähnt gelassen: Einerseits soll Atlantis das ganze Land bis nach Italien und Libyen besessen haben, bevor es seine Eroberung begann. Auf der anderen Seite soll Atlantis seine Eroberung mit dem Ziel begonnen haben, alle Länder innerhalb der Meerenge auf einen Schlag zu erobern. Beides kann nicht wahr sein. Was soll man davon in einer erfundenen Geschichte halten? Und was könnte man daraus machen, wenn man historische Kritik anwendet?

Was die Elefanten betrifft, so ist die Idee, dass die Elefanten auf Persien anspielen (Ep01 36:40), nicht wirklich eine gute Idee, da die Erwähnung von indischen Elefanten im Perserreich in der griechischen Literatur nicht stark ist. Es ist nicht so wie mit Hannibals Elefanten. Viel überzeugender ist, was der Experte für antike Geographie, Ernst Hugo Berger, nicht zuletzt mit Blick auf eine bestimmte Stelle bei Aristoteles einmal vorgeschlagen hatte: Dass die Tatsache, dass es im äußersten Westen und im äußersten Osten Elefanten gibt, aber nicht dazwischen, die Alten zu der Annahme verleitet haben könnte, dass es einst eine Landbrücke (mit Elefanten) von Westafrika nach Ostindien gab, also genau dort, wo Atlantis gelegen haben soll. (Siehe Franke 2010/2016)

Schließlich noch etwas zu dem Schlamm vor Gibraltar, den die versinkende Insel angeblich hinterlassen hat. Tom Holland und Dominic Sandbrook stellen fest, dass es diesen Schlamm in der realen Welt nicht gibt (Ep01 29:23). Und sie haben sonst nichts dazu zu sagen. Für sie ist es also nur ein weiteres Zeichen für eine Fiktion. Aber sie haben nicht bemerkt, dass auch Aristoteles von diesem Schlamm als einer Realität sprach. Obwohl der Schlamm nicht real war, glaubten die Griechen an seine Existenz. Es ist keine Erfindung. Es ist ein Irrtum. Und das ist ein großer Unterschied mit großen Konsequenzen für die Glaubwürdigkeit von Platons Atlantisgeschichte.

Vermasselt: Die Rezeptionsgeschichte

Tom Holland glaubt von Platons Atlantisgeschichte, dass "very few people initially seemed to have actually believed that it was true. People absolutely seem to have understood what he was doing with this." (Ep01 41:50). Aristoteles habe über Atlantis geschwiegen, sagt Tom Holland, was als Zeichen dafür gewertet wird, dass auch Aristoteles es für eine Fiktion hielt (Ep01 43:36). Angeblich sei es so, dass "right the way through into the Roman period, people who you think might be interested in it don't mention it" (Ep01 44:17), und "only towards the end of the classical period, so deep into late antiquity, do you get someone who's wholeheartedly a fan of the whole story of Atlantis. And this is a philosopher who is a student of Plato, absolutely devoted to him, called Proclus, who is writing in the fifth century AD. And he is all over the idea that Atlantis is true." (Ep01 45:21).

Nun, wir müssen dieses Bild etwas korrigieren. Da war z.B. Theophrast, ein Schüler und Nachfolger von Aristoteles, der Platons Atlantis ausdrücklich als einen realen Ort erwähnte. Oder Krantor, ein angesehenes Mitglied von Platons Akademie und Autor des ersten Kommentars zu Platons Timaios, der die Realität von Platons Atlantis bestätigte. Krantor behauptete sogar, eine Bestätigung der Geschichte auf ägyptischen Stelen gefunden zu haben. Und dann waren da noch die Schwergewichte Strabon und Poseidonios, die beide die Frage, ob die Geschichte von Atlantis real ist, mit einer klaren und expliziten Neigung zu einem "Ja" beantworteten. Während wir seit Anbeginn mehrere Namen von Atlantisbefürwortern kennen, erscheint der erste namentlich bekannte Atlantisskeptiker erst 500 Jahre nach Platon. Es war Numenios von Apameia.

Auch Aristoteles kann nicht bei den Skeptikern eingereiht werden. Dass er Platons Atlantisgeschichte nicht erwähnt, ist eher ein Zeichen dafür, dass er an die Realität von Atlantis glaubte, denn sonst hätte er der Geschichte widersprochen, wie er es auch mit anderen Geschichten und Aspekten von Platons Dialogen tat, die ihm nicht gefielen. Aristoteles glaubte genauso oder ähnlich wie Platon an wiederholte Katastrophen und viele andere Aspekte der Geschichte von Atlantis. Und er glaubte an den Schlamm vor Gibraltar, wie wir bereits gesehen haben, auf den er in einem Werk über die Beschaffenheit der natürlichen Welt und ihre Gründe und Ursachen kurz zu sprechen kommt. Aber für den Schlamm wird in diesem Werk kein Grund und keine Ursache genannt. Der einzige Grund für diesen Schlamm in der gesamten griechischen Literatur ist Platons Atlantis, und wenn Aristoteles keinen anderen Grund angibt, dann akzeptiert er damit einfach den Grund, den jeder kennt. (Mehr dazu in Franke 2010/2016)

Plinius der Ältere wird verspottet, weil er Atlantis erwähnte, und es wird behauptet, dass er Zweifel an dessen Existenz hegte (Ep01 44:17). Während wir dem Spott nicht zustimmen können, können wir auch dem letzteren nicht zustimmen. Plinius der Ältere äußerte Zweifel an der Größe von Atlantis, nicht an dessen Existenz.

Proklos war ein vielbeachteter Neuplatoniker und nicht der einzige, der an die Realität von Atlantis glaubte. Er konnte auf eine lange Tradition der Atlantisbefürwortung über die Jahrhunderte hinweg zurückblicken, die mit der Zeit Platons begann. Und wenn Tom Holland sagt, Proklos habe Recht, dass der Krieg von Ur-Athen und Atlantis ein gutes Muster für die Perserkriege sei, aber dass der Grund dafür darin liege, dass dieses Muster von Platon nach den Perserkriegen modelliert worden sei, dann liegt Tom Holland falsch (Ep01 45:54). Denn das Muster, dass ein großes Reich gegen einen viel kleineren und unterschätzten Feind scheitert, ist in der Geschichte bis heute allgegenwärtig, so dass es absolut keine Notwendigkeit gibt, dass dieses Muster nach den Perserkriegen modelliert worden ist. Im Gegenteil, es stellt sich die Frage, ob es erlaubt ist, die Perserkriege als einzige und direkte Instanzierung des Musters zu sehen, und es stellt sich auch die Frage, warum Platon nicht direkt von den Perserkriegen sprach, sondern sie nur andeutete, wenn er sie meinte.

Tom Holland liegt völlig falsch, dass Platons Atlantisgeschichte im Mittelalter nicht diskutiert wurde (Ep01 45:54; 47:11). Seit einer Veröffentlichung im Jahr 2016 ist eine Reihe namhafter Gelehrter aus dem Mittelalter bekannt, die über Platons Atlantis geschrieben haben (Franke 2016/2021). Wie in der Antike waren auch im Mittelalter die Meinungen geteilt, mit einer klaren Tendenz zugunsten der Realität der Geschichte.

Christoph Kolumbus ist eines von Tom Hollands Beispielen für jemanden, der über Platons Atlantis hätte sprechen sollen, es aber nicht tat. Kolumbus sprach viel über unbekannte Inseln im Westen, z.B. über Brazil oder Antilia. Aber nie über Atlantis. Auch er soll Atlantis deshalb für eine Erfindung gehalten haben. (Ep01 47:14; Ep02 03:49; 04:38) Aber das ist falsch. Der Grund, warum Kolumbus Atlantis nie erwähnt hat, ist einfach, dass es als versunkene Insel galt. Und Kolumbus war nicht an versunkenen Inseln interessiert. Er suchte nach noch existierenden Inseln, die ihm helfen konnten, den Weg nach Ostindien zu überbrücken. Außerdem bediente sich Kolumbus der geographischen Werke des Kardinals Pierre d'Ailly. Von Pierre d'Ailly wissen wir genau, dass er glaubte, Atlantis sei ein realer Ort, da er darüber schrieb.

Was Francis Bacon betrifft, hat Tom Holland einen wichtigen Punkt übersehen (Ep02 10:28). Denn Francis Bacon spricht nicht nur vom Neuen Atlantis, der Insel der Wissenschaftler im Pazifischen Ozean, sondern auch vom Alten Atlantis, d.h. von Platons ursprünglichem Atlantis. Für Bacon lag Atlantis in Mittel- und Südamerika. Es ist sehr wichtig, das zu beachten.

Eine weitere Behauptung von Tom Holland ist, dass mit der Entdeckung Amerikas der Ort von Atlantis auf der ganzen Welt herumgeschoben wurde (Ep02 11:40). Dies ist nicht wahr. Es war nur so, dass sich das Gebiet "westlich von Gibraltar" bzw. draußen "im Atlantischen Ozean" im Zeitalter der Entdeckungen ausgeweitet hatte. Atlantis lag immer noch irgendwo im Atlantischen Ozean. Atlantishypothesen, die Atlantis ganz woanders verorteten, kamen erst später auf. Man beachte, dass Francis Bacons Insel im Pazifik nicht Atlantis ist. Und die vielen Orte, die Thomas Henri Martin (Ep02 23:45) erwähnt, stammen aus dem Jahr 1841, also erst viel später im 19. Jahrhundert.

Auch Olof Rudbeck wird von Tom Holland schlecht wiedergegeben. Für Tom Holland war Olof Rudbeck ein nationalistischer Spinner, dessen "Forschung" ins Lächerliche gezogen wird (Ep02 11:40). Aber nein, Olof Rudbeck war vielmehr ein Genie, der das Lymphsystem entdeckte, der den ersten anatomischen Hörsaal an der Universität von Uppsala einrichtete, und der auch den botanischen Garten gründete, der die Grundlage für Linnés spätere Festlegung einer Taxonomie in der Biologie bildete. Aber auch auf der Suche nach Atlantis machte Rudbeck wertvolle Erfindungen. Er war der erste, der die Idee aufstellte, dass man, je tiefer man in der Erde gräbt, desto tiefer in die Vergangenheit vordringt. Und Rudbecks linguistische Überlegungen waren nicht so lächerlich, wie Tom Holland meint, sondern waren die ersten ernsthaften Schritte zur Entdeckung der indoeuropäischen Sprachfamilie. Und nein, Olof Rudbeck war kein Nationalist "avant la lettre", er war einfach nur patriotisch. Daran ist nichts falsches. Rudbeck kann als der erste angesehen werden, der eine historisch-kritische Deutung von Platons Atlantisgeschichte versuchte, abgesehen von der wörtlichen Bedeutung. Deshalb ist es einfach nicht fair, wenn Tom Holland sagt: "You want it to be Sweden. And then essentially you just look for anything that might support that." (Ep02 14:22) Sogar Goethe konsultierte Rudbecks Werk über Atlantis.

Es ist schön, dass Tom Holland erkannt hat, dass Ignatius Donnelly kein schrecklicher Rassist war, sondern recht fortschrittlich, gegen Sklaverei und für die "Reconstruction" (Wiederaufbau nach dem amerikanischen Bürgerkrieg) (Ep02 15:10; 22:34). Dennoch stellt Tom Holland Donnellys Haltung über Rassen immer noch zu dunkel dar (Ep02 21:40). Donnelly war im Vergleich zu unserer Zeit sicherlich rassistisch, aber für seine eigene Zeit war er eher antirassistisch. Es ist daher einfach falsch zu sagen, dass Donnelly den Weg zum Nationalsozialismus ebnete. Ganz im Gegenteil.

Und nein, Donnelly sagte nicht, dass die Atlanter Iren waren (Ep02 21:00). Das ist einfach nicht fair und widerspricht dem, was an anderen Stellen in diesem Podcast gesagt wird. Außerdem stimmt es nicht, dass Donnelly "hyped up the Atlanteans as having super advanced technology" (Ep02 25:42). Dies ist, was Donnelly wirklich über die Technologie in Atlantis schrieb: "They knew the use of the magnet and of gunpowder. In short, they were in the enjoyment of a civilization nearly as high as our own, lacking only the printing-press, and those inventions in which steam, electricity, and magnetism are used." (S. 478). Es handelt sich also um eine "advanced technology" ohne Elektrizität, ohne Dampfmaschine und ohne Druckerpresse. Das ist mittelalterliche Technologie. Nichts anderes.

Und es ist auch falsch, dass Donnelly ein Werk über Atlantis verfasst hat, das praktisch an zweiter Stelle nach Platon steht. Donnelly war nicht der erste, der ein solches Buch geschrieben hat. Es gab viele, die vor Donnelly ähnliche Bücher geschrieben haben. Der Unterschied ist, dass es Donnelly gelang, das Thema zu popularisieren. Das war seine eigentliche Leistung. Und es gibt noch einen weiteren Unterschied. Während Donnellys Vorgänger in früheren Zeiten ins Blaue hinein spekulieren konnten, ohne widerlegt zu werden, lebte Donnelly genau an der Schwelle der Zeit, als endgültig klar wurde, dass die Geschichte von Atlantis nicht wörtlich wahr sein konnte. Dies führte dazu, dass die Wissenschaftler das Thema ganz aufgaben (anstatt eine historisch-kritische Lesart zu versuchen) und es den Pseudowissenschaftlern überließen. Ja. Das haben sie wirklich getan! Der Erfolg von Donnelly hängt eindeutig mit dem Sinneswandel in der Wissenschaft zusammen. Die Wissenschaft selbst hat immer und wird immer ihre eigene Pseudowissenschaft produzieren, wann immer sie das Kind mit dem Bade ausschüttet.

Vermasselt: Atlantis und "die Nazis"

Tom Holland beginnt das Thema Atlantis und "die Nazis" mit der Insel Thule und der Münchner Thule-Gesellschaft (Ep02 25:03). Aber nein, anders als Holland behauptet, wurde die Insel Thule von deutschen rechtsgerichteten Autoren nicht als Atlantis angesehen. Während Atlantis als versunkene Insel galt, wurde Thule als immer noch existierend angesehen, wie z.B. Island. Atlantis ist eben nicht Thule und wurde nicht mit ihm verwechselt. – Außerdem hatte die Thule-Gesellschaft weniger mit Hitlers Nationalsozialismus zu tun, als viele denken. Hitler und alle anderen führenden Nationalsozialisten waren keine Mitglieder der Thule-Gesellschaft. Alfred Rosenberg sprach dort als geladener Gast. Es gibt nur eine tiefere Verbindung: Als sich die Thule-Gesellschaft auflöste, übernahm Hitler die Vereinszeitschrift "Münchener Beobachter" und formte daraus seine Parteizeitung "Völkischer Beobachter". Mehr aber auch nicht.

Es ist auch falsch, dass deutsche rechtsgerichtete Autoren Ignatius Donnelly wegen seiner angeblichen Vorstellungen von einem arischen Atlantis herangezogen haben. Sie könnten sich auf Madame Blavatsky berufen haben, die ihrerseits Donnellys Ideen aufgriff (und veränderte). Aber Donnellys Werk selbst war für arische Fanatiker nicht brauchbar. Wie Tom Holland selbst sagt, war Donnellys Atlantis "a kind of melting pot for American, European, African peoples" (Ep02 38:19). – Falsch ist auch die Vorstellung, dass deutsche rechtsgerichtete Autoren sich auf Edgar Cayce beriefen (Ep02 25:42). Ein solcher Zusammenhang wird in der gesamten Literatur nicht berichtet. Woher kommt das? Vielleicht hat irgendein deutscher rechtsgerichteter Autor auch Edgar Cayce gelesen. Warum nicht. Aber es gibt nicht den geringsten Hinweis auf einen größeren Einfluss von Edgar Cayce auf deutsche rechtsgerichtete Autoren über Atlantis. – Wie Tom Holland selbst sagt, waren für die deutschen rechtsgerichteten Autoren die Ideen von Donnelly und Cayce einfach nicht rassistisch genug, denn diese rechtsgerichteten Autoren wollten, dass Atlantis der Ursprungsort der arischen Rasse und keiner anderen Rasse ist (Ep02 30:35). Tom Holland hat das nicht konsequent zu Ende gedacht.

Schließlich irrt sich Tom Holland darin, dass "die Nazis" bzw. rechtsgerichtete Autoren Atlantis in der Nordsee verorteten: "So all this kind of stuff about crystals, superpowers, all this kind of thing fuses in Germany before and after the First World War with ideas that Atlantis might actually have been in the North Sea" (Ep02 25:42; 29:13). Nein, das stimmt nicht. Nur Heinrich Pudor dachte so, und zwar 1936 über die Nordseeinsel Helgoland. Aber er war mit dieser Idee sehr allein, und die Nationalsozialisten verweigerten ihm, wie auch einigen anderen Pseudowissenschaftlern, das Recht zu publizieren. Wenn man die Welteislehre berücksichtigt, die bei manchen Nationalsozialisten beliebt war, musste der Ursprungsort der Arier viel weiter im Norden liegen. Woher stammt also die Idee von Atlantis in der Nordsee? Eines ist wahr: Himmler hatte ein archäologisches Interesse an Helgoland und der Nordsee, ja. Aber er verband das nicht mit Atlantis. Wahrscheinlich denken jene oberflächlichen Autoren, die denken, dass Himmler Atlantis mit Helgoland gleichsetzte, an Jürgen Spanuth, der in den 1950er Jahren mit seiner Idee, Atlantis liege auf Helgoland in der Nordsee, recht populär wurde.

Es ist generell falsch, dass Tom Holland immer von "den Nazis" spricht. Denn es gab keinen offiziellen nationalsozialistischen Glauben an Atlantis. Ganz im Gegenteil. Wie Tom Holland selbst sagt, hat Adolf Hitler nicht an Atlantis geglaubt (Ep02 29:13). Atlantis wurde weder in den Schulen, noch in der Hitlerjugend, noch in Himmlers SS-Ausbildungsstätten gelehrt. An deutschen Universitäten lehrten deutsche Wissenschaftler den Studenten weiterhin, dass Atlantis eine Erfindung von Platon sei. Auch karrieristische NS-Professoren taten dies. Hitler verhöhnte Atlantisgläubige einmal sogar öffentlich in einer Rede, im Jahr 1936. Anders als Tom Holland sagt (Ep02 29:13) ist nicht bekannt, ob Rudolf Hess an Atlantis glaubte. Er war ein Anhänger von Rudolf Steiners Anthroposophie, also könnte er an Steiners Version von Atlantis geglaubt haben. Aber wir haben kein einziges Wort von Hess darüber. Auch Alfred Rosenberg war sicher nicht "very into it", wie Tom Holland behauptet (Ep02 29:13). Rosenberg ließ ein paar Sätze fallen, dass der Ursprungsort der Arier Atlantis gewesen sein könnte, fügte aber schnell hinzu, dass dies weder sicher noch wichtig für den Nationalsozialismus sei, und fuhr dann fort, die nationalsozialistische Lehre (wie er sie sah) ohne weiteren Hinweis auf Atlantis zu entfalten. Rosenberg erwähnte Atlantis nur, um die Himmler-Wirth-Camarilla zu befriedigen, und auch das nur sehr widerwillig. Rosenberg selbst glaubte eindeutig nicht an Atlantis.

Der einzige Nationalsozialist von einiger Bedeutung, der eindeutig "into it" war, war Heinrich Himmler. Himmler mit seinen Kumpanen Wirth und Kiss. Aber Himmler behielt diesen Glauben für sich. Er lehrte seine SS-Männer nicht, daran zu glauben. Und die Forschungsexpeditionen seines Instituts "Ahnenerbe" hatten Atlantis nicht als offizielles Forschungsthema. Nur wenn eine solche Expedition von einem Freund Himmlers begleitet wurde, der an Atlantis glaubte, könnte man von einer inoffiziellen Atlantisexpedition sprechen. Aber z.B. die Tibet-Expedition war keine solche Expedition, da es dem Leiter der Expedition gelang, Edmund Kiss als Teilnehmer abzulehnen. Es war dennoch eine rassistische Expedition, was schlimm genug ist.

Was es ebenfalls gab, waren mehrere rechtsgerichtete Autoren, die das Atlantisthema im Sinne einer rechten Ideologie, mal mehr, mal weniger nationalsozialistisch, entfalteten. Aber sie waren keine offiziellen NS-Autoren. Im Gegenteil, sie waren bei der NSDAP eher unbeliebt, da sie Interpretationen des Nationalsozialismus anboten, die nicht unter der Kontrolle der Partei standen.

Es ist völlig falsch, die Vorstellung zu befürworten, dass der Glaube an Atlantis zu Rassismus und Nationalsozialismus "führte". Tom Holland verweist auf diesen Glauben bestimmter moderner Wissenschaftler (Ep02 31:16): "you can be interested in Atlantis and then suddenly become a white supremacist". Tom Holland weiß zwar, dass dies falsch ist, aber er entfaltet diesen Gedanken nicht vollständig. Vielmehr gibt Tom Holland der Behauptung einer "Kontaminierung" des Themas Atlantis eine gewisse Berechtigung, indem er sagt: "And I think that's because the uses, that the Nazis put the story to, hang so heavily that it's tainted the whole enterprise." (Ep02 38:19). Nun, "die Nazis" als solche haben die Geschichte überhaupt nicht benutzt. Und selbst dort, wo ein Nationalsozialist sie benutzt hat, wurde er nicht durch Atlantis zum Nationalsozialisten, sondern missbrauchte Atlantis für üble Zwecke.

Zuguterletzt hat Tom Holland völlig vergessen, die Frage zu stellen, ob irgendwelche Sozialisten oder Kommunisten an Atlantis geglaubt haben. Denn die Antwort ist ein klares "Ja". Einige von ihnen sind ziemlich berühmt. Was lernen wir daraus? Dass die Atlantis-Geschichte zu den Schrecken des Kommunismus "geführt" hat und durch den Archipel Gulag "befleckt" ist? Das ist natürlich Unsinn! Weder der Kommunismus noch der Nationalsozialismus haben sich auf Atlantis berufen. Daran ändern auch einzelne kommunistische oder nationalsozialistische Atlantisgläubige nichts.

Kleinere Fehler

Es ist sehr bedauerlich, dass Tom Holland die pseudowissenschaftliche Behauptung unterstützt, der Phaethon-Mythos als Teil der Atlantisgeschichte bringe zum Ausdruck, dass "a comet had hit the earth" (Ep01 26:03; Ep02 45:16). Dies ist falsch. Die Geschichte handelt vielmehr von der Sonne, die sich der Erde nähert und Brände verursacht, oder sich von der Erde entfernt und Überschwemmungen verursacht. Denn es geht um den Lauf des Sonnenwagens. Es geht also um die Sonne. Und nur bis zu diesem Punkt wird der Mythos akzeptiert, wie ausdrücklich gesagt wird. Der Teil mit dem Sonnenwagen, der auf die Erde fällt, ist ausgeschlossen.

Es ist falsch, dass der Atlantische Ozean "comes to be called the Atlantic after Atlantis" (Ep02 11:40). Wie wir bei Herodot lesen können, erhielt der Atlantik seinen Namen vor Platon und ist daher nach dem Titanen Atlas benannt, nicht nach Atlantis. Platon tauscht den Titanen Atlas mit dem König Atlas aus, aber ursprünglich wurde das Atlantische Meer nach dem Titanen der Mythologie benannt, nicht nach dem König von Atlantis.

Es ist unglücklich, dass Platons Idee der Philosophenkönige ins Lächerliche gezogen wird (Ep01 20:00). Das wird dem tiefen Gedankengut Platons nicht gerecht, das immer noch voller tiefer Wahrheiten ist, auch wenn wir heute wissen, dass ein solcher Idealstaat nicht möglich ist. Platon selbst hat das erkannt, wie man in den Nomoi nachlesen kann. Es ist auch falsch, Platon eine gewisse Vorliebe für aristokratischen Elitismus zu unterstellen, "a deep, deep vein of snobbery that runs through Greek philosophy", z.B. durch eine angebliche Neigung zu Sparta (Ep01 41:08). Platons Interesse an Sparta galt aber eher der in Spartas Verfassung verwirklichten Gewaltenteilung. Denn wie Tom Holland an anderer Stelle richtig sagt, Platon "despises the democracy, as he has also despised the aristocratic regime of his uncle" (Ep01 17:04).

Es ist auch seltsam, Platons Dialog Nomoi nur als "a list of laws about how a state should be governed" (Ep01 21:05) zu bezeichnen. Es ist viel mehr als das. Vor allem, und das ist wichtig für das Thema Atlantis, bestätigt der Dialog Nomoi, dass viele Aspekte der Atlantisgeschichte von Platon für real gehalten wurden. Dazu gehören der zyklische Katastrophismus oder ein Alter Ägyptens von mindestens 10.000 Jahren.

Es ist falsch, dass "Poseidon had wanted to have Athens, but loses that competition. So he gets Atlantis." (Ep01 31:13) Denn Platon sagt ausdrücklich, dass solche Kämpfe zwischen Göttern nicht Realität sind. In der Atlantisgeschichte wird ausdrücklich gesagt, dass die Erde ohne solche Kämpfe unter den Göttern aufgeteilt wurde. – Ebenso falsch ist, dass Poseidon "founds a line of kings by raping a girl" (Ep01 31:13). Wir wissen nicht, ob er sie vergewaltigt hat.

Übertrieben ist auch die Behauptung, dass Arthur Evans "basically created Cnossus and claimed it was authentic", wie Dominic Sandbrook sagt und Tom Holland bestätigt (Ep02 32:11). Dies gilt für Arthur Evans' Interpretationen und Rekonstruktionen, aber nicht für Knossos selbst. Knossos ist real.

Wo Tom Holland richtig liegt

Es gibt mehrere Punkte, in denen Tom Holland von den üblichen Behauptungen der Anhänger der Erfindungshypothese abweicht und damit einer korrekteren Sichtweise näher kommt! Aber oft war Tom Holland nicht mutig genug, sich zu der vollen Erkenntnis durchzuringen, dass die üblichen Behauptungen falsch sind. Einige Beispiele:

Generell sehr gut beobachtet wurde auch der Wandel der Atlantiswahrnehmung nach und durch die Entdeckung Amerikas: Die Erklärungsversuche für Amerika führten zu Hypothesen von Überlebenden aus Atlantis, von Zivilisationsbringern und von Atlantis als einer positiven "verlorenen" Utopie. (Ep01 49:24; Ep02 04:38; 06:02; 09:31) Aber es ist nicht wahr, wie oben gezeigt, dass Atlantis begann, sich über die ganze Welt zu bewegen. Dies geschah erst später.

Richtig ist auch die Feststellung, dass König Atlas von Atlantis nicht der Titan Atlas aus der griechischen Mythologie ist (Ep01 06:02). Es handelt sich um zwei verschiedene Personen.

Tom Hollands Kritik an den Hypothesen von Graham Hancock ist ebenfalls sehr gut gemacht. Tom Holland verfällt nicht in erster Linie in ideologische Kritik, sondern argumentiert auf der sachlichen Ebene, was sehr überzeugend und frei von falschem Eifer ist. Gut ist auch, dass Graham Hancocks wiederholte Angriffe gegen etablierte Wissenschaftler kritisiert werden: "Graham Hancock is very, very abusive about them. So he is very into the idea that basically it is 'Big Archaeology'. The 'Big Archaeology' has discovered the truth, but is concealing it from, you know, from everybody." (Ep02 40:43)

Aber es ist sehr bedauerlich, dass Tom Holland Graham Hancock nicht für seine wortwörtliche Lesart von Platons Atlantisgeschichte kritisiert hat. Indem er die Atlantisgeschichte selbst buchstabengetreu statt historisch-kritisch liest, um sie als eine Erfindung zu verstehen, hat Tom Holland das wichtigste und fundierteste Argument verschenkt.

Tom Holland kauft die Geschichte, dass die Beschäftigung mit Atlantis zu Rassismus führt, nicht ganz ab (auch wenn er diese Erkenntnis nicht mit Konsequenz ausarbeitet). Deshalb zeigt Tom Holland viel Fairness gegenüber Graham Hancock: "I don't know, maybe he is secretly a white supremacist, but based on those documentaries, the whole thing is about environmentalism. You know, he is essentially saying that, as far as I could tell, that unless we stop using electricity, we're going to get wiped out by a comet." (Ep02 37:30) Und: "He is hostile to European colonialism. He ... refers to 19th century land grabs. So as far as I can tell, he's not a white supremacist." (Ep02 37:51) Dominic Sandbrook fügt hinzu: "And Graham Hancock is ... all over the world. He is going to Indonesia or wherever and saying there are traces of superior civilisations here. So it's not at all Eurocentric." (Ep02 39:14) Und wieder Tom Holland: "I mean, to be fair to Edgar Cayce and to Donnelly and to people who Hancock is clearly ... deriving this stuff from, ... it is slightly more complicated than saying that the Atlanteans were white people." (Ep02 38:19) Und Graham Hancock sagt, dass "the European civilisation derives as much from the Atlanteans as does American civilisation." (Ep02 39:24)

Tom Holland hat gut beobachtet, dass der Pseudowissenschaftler Graham Hancock im Kern ein Linker und kein Rechter ist. Es ist kein Zufall, dass dem Altmeister der modernen Pseudowissenschaft, Erich von Däniken, sein Durchbruch als Schriftsteller gerade im Jahr 1968 gelang. Der antiautoritäre Geist richtete sich auch gegen die Autorität der Wissenschaft.

Sympathische Kritik an Wissenschaftlern

Wir alle brauchen Wissenschaftler und den Wissenschaftsbetrieb, es gibt keine Alternative, um Wissenschaft zu produzieren. Andererseits ist die Existenz von Wissenschaftsbetrieb und Wissenschaftlern allein noch keine Garantie dafür, dass wirklich gute Wissenschaft produziert wird. Deshalb ist Kritik erlaubt und nötig. Und Tom Holland und Dominic Sandbrook äußern diese Kritik, und man kann ihnen nur zustimmen.

Allgemeine Kritik äußert Dominic Sandbrook, wenn er ironisch sagt: "But as we know from social media, academics are always the best judges of politics." (Ep01 21:01). Und Tom Holland sagt: "Imagine the most virtuous people you can find on Twitter running your life" (Ep01 23:02), und Dominic Sandbrook fügt sarkastisch hinzu: "Who wouldn't want that?" (Ep01 23:08)

Da er die Geschichte, dass Atlantis zu Rassismus führt, nicht ganz glaubt, schlägt Tom Holland einen anderen Grund für den Anti-Atlantis-Eifer bestimmter Wissenschaftler vor: "And I think that one of the reasons why they like to cast Graham Hancock as a kind of gateway drug to white supremacy is that it gives them a kind of Indiana Jones vibe. ... To say they're taking on Nazis." (Ep02 39:24) Dominic Sandbrook fügt sarkastisch hinzu: "Right, they are fighting the good fight against the forces of evil." (Ep02 39:58), und Tom Holland schließt böswillig ab: "Yes. So rather than excavating pots, they're fighting fascism." (Ep02 40:01) Die Passage wird von viel Gelächter begleitet.

Ein weiterer Grund für den Anti-Atlantis-Eifer wird in der Enttäuschung der Wissenschaftler gesehen: "You know, to have spent decades mastering the chronology of the late Ice Age, and having a kind of incredibly detailed knowledge of all these various excavation sites ... and then this guy pops up, has a ten part series on Netflix, a million-selling book ..." (Ep02 40:30)

Tom Hollands Ausblick

Laut Tom Holland passt die Atlantisgeschichte sehr gut in die aktuelle Atmosphäre der Klimaapokalypse: "Yes, it kind of maps quite well onto the environmental anxieties about the fact that we basically, we have just become too successful as a species, that we are being destroyed by our own technology." (Ep02 49:29) Leider hat er keine direkteren Beispiele in Betracht gezogen, z.B. Ukraine vs. Russisches Imperium, oder Taliban vs. USA, oder die Europäische Union, die sich selbst durch ihre sozialistische Hybris und ihre byzantinistische Bürokratie stranguliert, während es kleineren Ländern wie der Schweiz oder Norwegen (oder dem Vereinigten Königreich nach dem Brexit?!) viel besser geht. Das Thema Atlantis ist ein ewiges Thema.

Was die Realität von Atlantis betrifft, so stimmt Tom Holland den folgenden Worten von Dominic Sandbrook zu: "So I mean, do you think the Atlantis thing ... has it become such a joke now? No offence to Graham Hancock, but has it become such a joke that it is basically, it doesn't have any legs and it ... was a 19th and 20th century obsession, a bit like the Yeti or something, or Shangri-La?" (Ep02 47:50)

Also, nein. Die Atlantis-Frage war nicht nur eine "obsession" des 19. und 20. Jahrhunderts. Es ist ein Thema, das uns seit nunmehr 2.500 Jahren begleitet. Und es hat mehr "Beine", als sich Tom Holland und Dominic Sandbrook in ihren beiden Podcast-Sitzungen vorstellen konnten, wie oben gezeigt. Daher erwarten wir, dass die Atlantisfrage bald auf starken Beinen glücklich einer Lösung entgegenläuft.


Bibliographie

Ep01: Podcast "The Rest Is History" Nr. 314: Atlantis: The Legend. 20. März 2023.
Verfügbar z.B. auf Youtube https://www.youtube.com/watch?v=6r9o_YLJpeI

Ep02: Podcast "The Rest Is History" Nr. 315: Atlantis: Legacy of the Lost Empire. 23. März 2023.
Verfügbar z.B. auf Youtube https://www.youtube.com/watch?v=VsCryB1mdHE

Tom Holland, Mohammed, der Koran und die Entstehung des arabischen Weltreichs; englisches Original: In the Shadow of the Sword: The Battle for Global Empire and the End of the Ancient World. Random House, New York 2012.

Tom Holland, Herodotus: The Histories. Translation. Random House, New York 2013.

Desmond Lee, Plato – Timaeus and Critias, Translated with an introduction and an Appendix on Atlantis by Desmond Lee, The Penguin Classics series, Penguin Books, Harmondsworth 1971; Nachdruck mit Verbesserungen 1977; S. 146-167.

Thorwald C. Franke, Aristoteles und Atlantis – Was dachte der Philosoph wirklich über das Inselreich des Platon?, 2. erweiterte Auflage, Verlag Books on Demand, Norderstedt 2016. Erste Auflage war 2010.
Externer Link

Thorwald C. Franke, Kritische Geschichte der Meinungen und Hypothesen zu Platons Atlantis – von der Antike über das Mittelalter bis zur Moderne, 2. Aufl. in zwei Bänden, Verlag Books on Demand, Norderstedt 2021. Erste Auflage war 2016 in einem Band.
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