Rezension zu: Apocalypse and Golden Age – The End of the World in Greek and Roman Thought von Christopher Star 2021.
Rezensiert von: Thorwald C. Franke, Atlantis-Newsletter Nr. 209 (15. Januar 2023). Dank geht an die Johns Hopkins University Press, Baltimore, die dieses Buch freundlicherweise für eine Rezension zur Verfügung stellte.
Bibliographische Angaben: Christopher Star: Apocalypse and Golden Age – The End of the World in Greek and Roman Thought, Johns Hopkins University Press, Baltimore 2021. 320 Seiten. ISBN 9781421441634. $54.95. €49,79. £37,71.
Diese Publikation von Christopher Star ist einem edlen Zweck gewidmet: Sie soll eine lange und unterschätzte Tradition des griechischen und römischen Denkens über das Ende der Welt aufzeigen, die von Hesiod bis zur Literatur des Römischen Reiches reicht. Und es ist wahr: Die öffentliche Wahrnehmung konzentriert sich hauptsächlich auf die biblische Sichtweise des Themas, oder es geht um ein ungebildetes Verständnis von Atlantis als einer "verlorenen Welt" von 10.000 v.Chr., die nichts mit Platons realem Atlantis zu tun hat.
Beginnend mit Hesiod wird eine lange Reihe von "apokalyptischen" Texten identifiziert und diskutiert. Dazu gehören z.B. die Vorsokratiker, Platon, Aristoteles, Cicero, Lukrez, Seneca und Marcus Aurelius. Jeder Fall wird ausführlich beschrieben, mit Originalzitaten versehen und im Zusammenhang der anderen Fälle diskutiert. Christopher Star ist es gewiss gelungen, die unterschätzte Tradition sichtbar zu machen. Unter diesem Gesichtspunkt ist es kein Problem, dass nur ausgewählte Beispiele vorgestellt werden.
Das Buch krankt an einer fehlenden systematischen Ordnung des Themas selbst. Es ist ein großer Unterschied, ob die Welt selbst ihr Ende in einem kosmischen bzw. religiösen Sinne erleidet, oder ob die Welt weiter existiert und nur die menschliche Zivilisation zu Ende geht und danach wieder aufblüht, oder ob es sich um das Ende einer lokalen Zivilisation handelt. Der Autor erkennt und beschreibt diese Unterschiede, diskutiert aber alle diese Kategorien unter demselben Blickwinkel, als ob dies alles mehr oder weniger dasselbe wäre. Auch die Diskussion über das Goldene Zeitalter im Zusammenhang mit den Katastrophen ist nicht wirklich systematisch.
Generell stellt sich die Frage, ob einige der vorgestellten Diskussionen nicht zu weit gehen, wenn es darum geht, Details zu jedem Autor zu präsentieren. Denn die vorgestellten Detaildiskussionen scheinen nur oberflächliche Spiegelungen der aktuellen Literatur zu den einzelnen Autoren zu sein. Es wäre besser gewesen, sich kurz zu fassen und sich auf die Beziehungen zwischen den verschiedenen Texten und Autoren zu konzentrieren, was die eigentliche Innovation dieses Ansatzes ist.
Der Leser hätte mehr Zwischenüberschriften begrüßt, um mehr Transparenz ins Buch zu bringen. Der Anhang fasst alle Fußnoten als Endnoten zusammen, die somit nur am Ende des Buches abgedruckt werden, und die Nummerierung der Endnoten beginnt mit jedem neuen Kapitel von neuem. Dies ist der schlechtest anzunehmende Fall von Fußnotenhandhabung: Der Leser muss jeder Endnote nachschlagen, und zwar immer mit Seite und Nummer. Ein sehr mühsamer Vorgang. Auf der anderen Seite gibt es einen sehr hilfreichen Index Locorum und einen Generalindex. Die Bibliographie ist leider nicht erschöpfend. So fehlt z.B. Annus Platonicus – A study of world cycles in Greek, Latin and Arabic sources von Godefroid de Callataÿ 1996.
Diese Rezension konzentriert sich auf den Umgang mit Platon und insbesondere mit Platons Atlantisgeschichte. Leider stützt sich die vorliegende Arbeit auf Autoren wie Christopher Gill und Sarah Broadie. Das bedeutet, dass alle Fehler von deren selbstwidersprüchlichen und fehlerhaften Erfindungshypothesen zu Atlantis wiederholt werden.
Doch das Problem beginnt schon früher, nämlich bei der Diskussion von Platons Politikos. Hier folgte der Autor blindlings der falschen Übersetzung von Benjamin Jowett von Politikos 268d. So wird der Platonische Politikos-Mythos als ein "mythological child's play" und "something fit for children" (S. 26) dargestellt. Aber das ist nicht das, was Platon sagt. Generell werden die Platonischen Mythen in diesem Buch nicht so ernst genommen, wie sie es sollten. Nur in der Endnote 61 am Ende der nächsten Seite (die Endnote selbst ist erst am Ende des Buches abgedruckt!) findet sich ein Hinweis darauf, dass die Einstufung als "Mythos" auf eine gewisse Wahrscheinlichkeit hinweist, dass die dessen Bedeutung wahr ist. Aber kein Leser wird diese Endnote lesen. Es ist generell ein Fehler, "mythos" einfach mit "Mythos" ("myth") zu übersetzen, wie es dieses Buch notorisch tut. Von allen Texten, die Platon als "mythos" deklarierte, passen nur wenige auf unseren gewöhnlichen Begriff von "Mythos".
Wie bereits erwähnt, macht der Autor keinen systematischen Unterschied zwischen verschiedenen Arten von "Enden". Das mag der Grund dafür sein, dass er Platon so liest, als würde er in jedem neuen Dialog wegwerfen, was er in den jeweils vorangegangenen Dialogen über den zyklischen Katastrophismus gesagt hatte (S. 30, 38). Der Autor hat nicht erkannt, dass die Zyklen im Politikos die Zyklen im Timaios-Kritias umfassen. Sie widersprechen sich nicht und es gibt hier – zumindest nicht notwendigerweise – eine Änderung in Platons Denken. Es ist nur eine andere Kategorie von "Ende".
Wie für den Platonischen Politikos-Mythos, so wird auch für die Atlantisgeschichte gesagt, dass sie einem Kind erzählt wurde (S. 31). Was beim Politikos-Mythos falsch war, gilt hier nicht nur und nicht an erster Stelle. Und wie so oft bei Erfindungshypothesen zu Atlantis wird die mündliche Überlieferung überbetont und die schriftliche Überlieferung einfach weggelassen. Ausgelassen wird auch die berühmte Wendung im Plot des Timaios vom Plan einer erfundenen Geschichte hin zum Plan einer Geschichte, die auf einer realen Geschichte beruht (S. 31). Und das vorzeitliche Athen des Kritias wird als "in fact Socrates' ideal city" (S. 31) und als "perfect" (S. 35) dargestellt, obwohl es das offensichtlich nicht ist. Sokrates beurteile die Geschichte des Kritias angeblich nicht als fiktiv sondern als wahr (S. 31), was so nicht der Fall ist. Tatsächlich wird der Wahrheitsgehalt der Geschichte nie in Frage gestellt, sondern von allen Dialogteilnehmern von Anfang an und unausgesprochen akzeptiert. Sokrates' Urteil bezieht sich vielmehr auf die Tatsache, dass eine wahre Geschichte besser ist als eine erfundene Geschichte (siehe oben die ausgelassene Wendung im Plot). Erst in der Endnote 67 erfährt der Leser, dass Sokrates die Geschichte des Kritias einen "logos" nennt. Warum nur in einer Endnote?
Dann heißt es, vom vorzeitlichen Athen seien noch Spuren zu sehen, aber nicht von Atlantis (S. 34). Auch das ist falsch, denn eine sehr bedeutende angebliche Spur von Atlantis ist der Schlamm vor Gibraltar, an den sowohl Platon als auch Aristoteles glaubten. Völlig falsch ist diese Aussage: "Critias tells us not to bother finding the remains of Atlantis." (S. 35) Eine solche Aussage findet sich in Platons Dialogen nicht. Wie zu erwarten, wird die Atlantisgeschichte als Erfindung Platons dargestellt (S. 34). Aber zwei Seiten später, in der Endnote 80 (die nur am Ende des Buches abgedruckt ist), heißt es: "It seems most likely that Plato himself invented the story." Warum dies? Warum nur "seems" und nur "likely"? Der Autor gab sich im Haupttext seines Buches so überzeugt, und jetzt das? Und warum? Der Autor muss Dinge wissen, die er seinen Lesern nicht verraten hat. – Es ist auch seltsam, dass einer der Meister der Erfindungshypothese zu Atlantis, Pierre Vidal-Naquet, in diesem Buch nie in Bezug auf Atlantis zitiert wird. Er wird nur ein einziges Mal zitiert, aber nur in Bezug auf Platons Politikos (S. 28 Endnote 62).
Und die Kaskade der Irrtümer über Platons Atlantis geht weiter: Die Erinnerung an die Namen von Kekrops, Erechtheus usw. wird mit der Erinnerung an die bekannten athenischen Könige verwechselt (S. 33 f.). Nach Platon blieben aber nur die Namen bekannt, und die bekannten Kekrops, Erechtheus usw. waren spätere (!) Könige, die dieselben Namen übernahmen. (Nur unter der Perspektive eines realen Atlantis ist es erlaubt, die Frage zu stellen, ob Kekrops etc. der Zeit von Atlantis tatsächlich der bekannte Kekrops etc. war). – Im Anschluss an Christopher Gill sieht der Autor "several tropes that have become stock moves in fiction" (S. 34). Aber die Entwicklung der griechischen literarischen Fiktion mit all diesen literarischen Techniken kam erst viel später, so dass es wirklich schwierig ist, die Geschichte auf diese Weise zu interpretieren. Zu Platons Zeit tat dies niemand. – Das athenische Apaturienfest wird fälschlicherweise als Anspielung auf das Erzählen von trügerischen Geschichten verstanden (S. 34), was es definitiv nicht war. – Auch die Behauptung von notorisch wiederholten Wahrheitsbeteuerungen wird aufgestellt (S. 34), ist aber nicht stichhaltig. Die Wahrheit der Geschichte wird behauptet, aber nicht so oft und so triumphierend, wie es bestimmte Anhänger der Erfindungshypothese gerne hätten, und es ist außerdem wichtig, genau zu sagen, was es ist, das als wahr behauptet wird. Wird die Wahrheit des perfekten Idealstaates in der Vergangenheit behauptet? Nein, gewiss nicht. – Der Dialogteilnehmer Kritias wird als Kritias der Tyrann angesehen, oder wenn er nicht der Tyrann war, dann als Anspielung auf den Tyrannen (S. 35). Dies ist jedoch keine akzeptable Interpretation. Es kann nicht der Tyrann sein, da der Tyrann nicht mit der Philosophie Platons übereinstimmt, wie es der Dialogteilnehmer Kritias tut (ja, das tut er).
Es ist schade, dass der Autor ohne Diskussion darlegt, dass das vorzeitliche Athen und Atlantis 9.000 Jahre vor Solons Zeit existiert haben sollen und dass Ägypten alle Aufzeichnungen aus dieser Zeit bewahrt hat, da es angeblich von allen Katastrophen verschont wurde (S. 30). Diese Zahl ist von höchstem Interesse, und es gibt noch mehr solcher Zahlen in alten Texten. Woher kommen diese Zahlen? Vor welchem Hintergrund müssen wir sie interpretieren? Sahen sie für die antiken Menschen genauso seltsam aus wie für uns heute? Aber die ganze Diskussion wird vermieden, obwohl sie für das Thema zentral ist. – Noch problematischer ist die Auslassung der vollständigen antiken Rezeptionsgeschichte von Platons Atlantis-Geschichte (S. 36). Diese wäre aber für das Thema zentral gewesen! All diese Autoren, die an die Atlantisgeschichte geglaubt oder an ihr gezweifelt haben, und warum sie sie im Laufe der Jahrhunderte daran geglaubt oder nicht daran geglaubt haben: Das ist das Kernthema dieses Buches!
Zu Platons Nomoi schreibt der Autor, dass "now the catastrophes are simply 'old stories' " (S. 37). Das stimmt nicht. Wieder wird nicht ernst genommen, dass es Platon nicht nur um "alte Geschichten" geht, sondern um reale Informationen über die reale Vergangenheit für reale philosophische Schlussfolgerungen.
Dann werden verschiedene moderne politische Philosophien mit Platons Ideen in Verbindung gebracht (S. 39). Dies ist zwar grundsätzlich legitim, scheitert aber wiederum an der fehlenden Systematik. Es stimmt einfach nicht, dass für Platon "the catastrophes play a helpful role in preventing the stagnation of humanity". Es stimmt nicht, dass Platon feststellt, "that only a finite number of discoveries can be made. Arts, culture, and technology can only be developed so far." Auch wenn die wiederholten Katastrophen die Zeit der Entwicklung begrenzen, gibt es keine absolute Grenze für die Anzahl der entwickelten Technologien. Und es gibt auch kein Urteil darüber, dass eine solche Grenze irgendeine gute Wirkung hätte. Es werden immer wieder und wieder dieselben Erfindungen gemacht. – Der Autor sieht hier die Idee eines "kosmischen Filters" von Nick Bostron: Die Entwicklung der Technologie selbst lässt die Menschen aussterben. Aber eine solche Idee gibt es bei Platon nicht. Richtiger ist die "Medea-Hypothese", wonach die Erde von Natur aus immer wieder einen Teil ihrer Bewohner auslöscht (Endnote 93). Aber diese richtigere Idee wird nur in einer Endnote erwähnt.
Was Aristoteles betrifft, so ist es falsch, dass Aristoteles niemals die Katastrophen erwähnt, die den Untergang der Zivilisation herbeiführen (S. 40). In Fragment 53,2 R3 spricht Aristoteles ausdrücklich von "Überschwemmung" (kataklysmos). – Es ist seltsam, speziell für Aristoteles zu sagen, er sei gegen die Vorstellung einer weltweiten Überschwemmung gewesen (S. 40). Denn dies gilt auch für Platon. – Sehr auffällig ist, dass der Autor nie auf die wissenschaftliche Behauptung eingeht, in der Passage Strabo II 102 (2.3.6) gäbe es eine explizite Stellungnahme des Aristoteles gegen die Realität von Platons Atlantis. Denn diese Behauptung ist in der Literatur enthalten, auf die sich der Autor stützt, z.B. bei Christopher Gill. Sie wird aber in diesem Buch nie erwähnt und nie diskutiert, obwohl das Verhältnis von Platon und Aristoteles in Bezug auf wiederholte Katastrophen von größter Bedeutung ist. Auch hier hat man den Eindruck, dass der Autor seine Leser von bestimmten wissenschaftlichen Debatten abschirmt.
Alles in allem wäre es besser gewesen, wenn der Autor zum Thema Atlantis allzu viele Details vermieden und offen kommuniziert hätte, dass die Deutung der Atlantisgeschichte nicht einheitlich ist. Der Versuch, eine eindeutige, klare, fehlerfreie Deutung der Atlantisgeschichte als einer Erfindung Platons vorzulegen, musste scheitern, denn eine solche Deutung gibt es schlicht nicht.