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E.D. Phillips über Platons Atlantis

Mehr als nur "historische Elemente" in Platons Atlantisgeschichte

Thorwald C. Franke
© 06. Februar 2022



Queen's University Belfast

Biographische Notizen

Eustace Dockray Phillips (1910-1995?) war Professor für griechische Altertümer an der Queen's University in Belfast (Nordirland). Er studierte am Westminster und am Christ Church College in Oxford, kam 1939 an die Queen's University, wurde 1974 zum Mitglied der Royal Irish Academy gewählt und 1975 pensioniert. Vermutlich starb er 1995, denn im September 1995 wurde an der Queen's University eine posthume Lobrede auf ihn gehalten.

E.D. Phillips verehrte Herodot und war philosophisch Platon treu ergeben. Er war ein Experte für asiatische Nomadenvölker sowie für griechische Medizin. Einige seiner Werke waren Odysseus in Italy 1953, The Royal Hordes 1965, The Mongols 1969 und das bahnbrechende Greek Medicine 1973. Während des Zweiten Weltkriegs meldete er sich freiwillig zum Militärdienst und arbeitete in Bletchley Park an Dechiffrierungen, wofür seine logischen Fähigkeiten gut geeignet waren.

Phillips wird als liebenswürdiger und angenehmer Mensch mit großer Gelehrsamkeit erinnert. Er war in der Lage, für junge Geistern die Fenster aufzustoßen und logisch abzuschweifen, ungefähr so wie Herodot. Seine Gelehrsamkeit war vorstellungsreich, aber auch genau, und Phillips war für seine vorsichtige Rationalität bekannt.

Als ab den 1960er Jahren Gelehrsamkeit und die Fähigkeit zu lehren nicht mehr als ausreichend für einen Professor angesehen wurden, erwies es sich als Problem, dass er sich nicht um Selbstdarstellung kümmerte und nicht gut in Public Relations war. Es war nicht möglich, herauszufinden, was dies konkret bedeutete, aber man kann sich vorstellen, dass andere Wissenschaftler, die besser in Public Relations als – möglicherweise – in der Wissenschaft waren, die Wissenschaft von E.D. Phillips in den Schatten stellten, wenn nicht sogar Schlimmeres.


Der Anfang des Artikels über Atlantis

Zu Platons Atlantis

Im Jahr 1968 veröffentlichte Phillips den Artikel Historical Elements in the Myth of Atlantis. Auf 35 Seiten entwickelte er seine eigenen Vorstellungen von Platons Atlantis auf der Grundlage seiner Vorläufer wie z.B. Frost, Brandenstein, Pallottino, Stella oder Marinatos. Es ist erstaunlich, dass Rhys Carpenter von Phillips nicht erwähnt wird. Carpenter veröffentlichte seine Atlantishypothese nur wenige Jahre vor Phillips, und es gibt viele Ähnlichkeiten. Vielleicht war sie Phillips' Aufmerksamkeit entgangen?

Phillips erörtert alle möglichen historischen Hintergründe von Platons Atlantisgeschichte, von denen es viele gibt, einschließlich der Minoer und der Seevölker, und wie diese Traditionen kombiniert und dann über Ägypten an Solon weitergegeben worden sein könnten. Nach Phillips haben die Minoer eine "striking likeness" mit Platons Atlantis, und die Stadt Phaistos mit der Ebene von Messara passe gut zu Platons Stadt Atlantis. Auch Pallottinos Idee einer verlorenen Erinnerung an Sizilien wird gewürdigt.

Es ist ein starkes Argument, dass Phillips auch für den Platonischen Mythos von Er in der Politeia einen Hintergrund aus genuin originalem Material sieht, so dass dieser damit keine Erfindung war, sondern Platon durch historische Überlieferung bekannt war. Viele mögliche historische Hintergründe werden eher oberflächlich dargestellt, auch wenn Phillips recht umfassend darin ist, auf möglichst viele Details einzugehen. Eher schwach ist, dass Phillips das Argument von der Division durch 10 als "ingenious" bezeichnet. Es ist schade, dass Phillips kein Wort über Brandensteins literarische Überlegungen verloren hat. Während Brandenstein die Verwendung des Wortes "Mythos" für Platons Atlantis-Geschichte konsequent ablehnt, verwendet Phillips es dennoch, obwohl er am Ende seines Artikels von "the legend or myth of Atlantis" schreibt.

Für Phillips ist Platons Atlantisgeschichte im wesentlichen eine irrtümliche Zusammenführung verschiedener realer historischer Überlieferungen. Das bedeutet, dass Platon ernsthaft über Atlantis geschrieben und die Geschichte grundsätzlich nicht erfunden hat. Es sei "erlaubt", in Platons Geschichte eine "fabulous confection" zu sehen, aber eine "confection" ist eben gerade keine "invention" (und was sollte daran "fabulous" sein?). Es ist ganz klar, dass Phillips den Schwerpunkt stark auf die historische Überlieferung legt. Er tut dies, indem er für alle Details der Atlantisgeschichte historische Überlieferungen vorlegt, nicht nur für einige von ihnen, indem er auch die Traditionskette über Solon für plausibel hält, und indem er mögliche Erfindungen nur am Rande erwähnt, z.B. für den idealisierten Stadtplan von Atlantis mit seinen konzentrischen Ringen aus Wasser und Land. Obwohl es für seine Hypothese keinen Beweis gibt, hält Phillips sie dennoch für "probable", also für wahrscheinlich.


Sitzungssaal der Royal Irish Academy

Schluss

Damit positionierte sich E.D. Phillips klar gegen die Erfindungshypothese, obwohl er – wie Pallottino – hinter der historischen Überlieferung, wie sie von Platon verwendet wurde, kein reales Atlantis sah, da es sich seiner Meinung nach um eine irrtümliche Zusammenführung verschiedener unverbundener realer historischer Überlieferungen handelte.

Man beachte, dass das "Summary" am Ende des Artikels diesen Schluss nicht gut wiedergibt. Man muss schon den Artikel selbst lesen, um das herauszufinden. Vielleicht wurde das "Summary" in der Absicht verfasst, das, was Phillips wirklich geschrieben hat, abzuschwächen und zu verschleiern? Man beachte auch, dass Phillips diesen Artikel veröffentlichte, als sich der Zeitgeist bereits gegen ihn gewandt hatte, siehe oben, und als er kurz vor seiner Pensionierung stand. Vielleicht hat sich Phillips, wie so mancher Gelehrte, erst dann getraut, seine Meinung über Platons Atlantis zu schreiben, als er nichts mehr zu verlieren hatte?

PS 08. Februar 2022

Bereits 1958 hatte E.D. Phillips seine Vorstellungen zu Atlantis in groben Zügen beim General Meeting der Classical Association vorgetragen.

Bibliographie

Eustace Dockray Phillips, Atlantis, in: Proceedings of the Classical Association Vol. LV, Report of the General Meeting of the Classical Association 1958, Session 19 April 1958, London 1958; S. 28-29.

Eustace Dockray Phillips, Historical Elements in the Myth of Atlantis, in: Euphrosyne Vol. 2 (Januar 1968); S. 3-38.
https://www.brepolsonline.net/doi/10.1484/J.EUPHR.5.127377
Dank für den Hinweis auf die freie Verfügbarkeit geht an Oliver D. Smith.

George Huxley, Eustace Dockray Phillips, Laudation given at the Queen's University on 09 September 1995, in: Hermathena Nr. 160 (Sommer 1996); S. 5-7.
https://www.jstor.org/stable/23041114



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