Der vorliegende Artikel gibt einen Vortrag wieder, den Prof. Dr. Irmgard Männlein-Robert auf der Internationelen Konferenz ResourceCultures – Reflections and New Perspectives (12.-14. Februar 2020) in der "Alten Aula" in Tübingen hielt. Leider ist er voller Fehler und Oberflächlichkeiten. Nach der Durchsicht der Argumentation des Artikels werden wir eine Vermutung wagen, warum dieser so fehlerhaft und so oberflächlich geraten ist.
Männlein-Robert verfolgt die These, dass es sich bei Platons Atlantisgeschichte im Wesentlichen um eine dichterische Erfindung handelt, um eine Art Epos in Prosa, und dass die Überlieferungsgeschichte der Atlantisgeschichte aus Ägypten ein erfundener Beglaubigungsapparat ist. Sie meint, dass Platon mit dieser erfundenen Geschichte, die durch Fiktionssignale klar als Fiktion erkannt werden sollte, auf die kulturellen Ressourcen hinweisen wollte, die in den verschiedenen Arten von Transfers zu finden sind, die in der Atlantisgeschichte gezeigt werden.
Männlein-Robert weist zu Anfang mit Recht darauf hin, dass die Einbettung in den Rahmendialog von entscheidender Bedeutung ist. Damit meint sie vor allem den ganz zu Anfang von Sokrates geplanten exemplarisch-allegorischen mythos, den die anderen Dialogteilnehmer aufgrund ihrer philosophischen und politischen Kompetenz erfinden sollten, und dessen Wahrheit nicht im direkten sondern im übertragenen, beispielhaften, allegorischen Sinn zu finden ist (Timaios 19e-20c). Dies wird S. 115 mit Bezug auf Martin, Gill und Erler ausgeführt – "a 'true' fiction in a philosophical sense" – und S. 120 durch die Wendung "testing a poetic model" zusätzlich bekräftigt.
Allerdings hat Männlein-Robert damit einen ganz wesentlichen Aspekt des Rahmendialoges übersehen. Sie gibt diesen Aspekt auch bei der Nacherzählung des Dialogverlaufes S. 116 nicht wieder: Nämlich die Wende weg von einem erfundenen exemplarisch-allegorischen mythos hin zu einer wahren Geschichte als Basis der zu gebenden Darlegung. Im Dialog bezeichnet Sokrates eine wahre Geschichte als eindeutig bessere Basis für die Darlegung. Und es ist auch nicht mehr von mythos die Rede, sondern von logos. Damit wird es sehr fraglich, ob man den Plan für den exemplarisch-allegorischen mythos überhaupt noch auf die Atlantisgeschichte beziehen darf. Vielmehr liegt hier die klassische Situation eines Platonischen Anti-Mythos vor, der durch eine bessere Geschichte ersetzt wird (vgl. Franke (2021) S. 94 f., 205). Natürlich könnte man dies auch als Täuschungsmanöver Platons auffassen. Aber als Täuschung fasst Männlein-Robert es ja nicht auf, u.a. wegen der Fiktionssignale. Hier hat sich Männlein-Robert in eine argumentative Situation verstrickt, die zumindest nicht befriedigend aufgelöst ist.
Außerdem möchte man doch fragen, warum die dialogimmanente Wende von der erfundenen hin zur wahren Geschichte unerwähnt bleibt, wenn doch die Einbettung in den Rahmendialog so wichtig ist, wie Männlein-Robert mit Recht sagt? Dieses wenig hilfreiche Vorgehen finden wir leider bei vielen wissenschaftlichen Autoren, u.a. auch bei dem von Männlein-Robert z.B. S. 118 als Gewährsmann für ihre literarische Deutung herangezogenen Mario Regali. Regali kümmert sich jedoch in seinem Werk überhaupt nicht um die Frage nach der Realität von Atlantis, sondern fabuliert sich recht sorglos eine rein literarische Deutung zusammen, und erklärt dabei völlig naiv und ohne sich um Konsequenzen zu kümmern, dass es Platon darum gehe, das zu zeigen, was in der Politeia von ihm angekündigt worden war, nämlich dass ein Idealstaat auch in der Realität möglich ist. Wie das mithilfe einer Erfindung glaubwürdig gezeigt werden kann, bleibt rätselhaft. Doch zurück zu Männlein-Robert.
Dann nimmt Männlein-Robert Aristoteles für ihre Argumentation in Dienst. Die These von dem erfundenen exemplarisch-allegorischen mythos, quasi ein erdichtetes Epos in Prosa, sieht sie bestätigt in Aristoteles' Poetik IX. Männlein-Robert: "The entire distinction made by Plato’s pupil Aristotle, who in his 'Poetics' (c. 9) argues and explains the specific truth of poetry in relation to the factuality in historiography is well known, see Erler ...; Schmitt ..." (S. 115 Fußnote 1) – Doch ein Beleg für die Richtigkeit ihrer These, dass es sich bei der Atlantisgeschichte um einen exemplarisch-allegorischen mythos handelt, ist dies nicht. Man kann die Ausführungen des Aristoteles erst nach der Feststellung der literarischen Kategorie zuordnen. Wie Männlein-Robert ausführt, beschreibt Aristoteles an derselben Stelle auch die Eigenschaften der Fakten-orientierten Historiographie, und diese Ausführungen treffen hervorragend auf die Atlantisgeschichte zu.
Männlein-Robert stützt sich an dieser Stelle sichtlich auf Mauro Tulli (2013; S. 80), den sie in ihrer Bibliographie anführt. Tulli verschwiemelt dabei die Worte des Aristoteles in einer höchst unzulässigen Weise, bevor er sie auf Atlantis bezieht. So kann man es nicht machen. Bei Aristoteles geht es nicht um eine Übertragung allgemeiner Konzepte in eine konkrete Wirklichkeit, sondern es geht einfach um Wahrheit und Historie. Bei Aristoteles ist auch nicht die Philosophie das Beispiel für theoretisches, nicht-faktisches Wissen, sondern Poetik. Die ganze Arbeit von Tulli ist voller schiefer Schlussfolgerungen und darf nur mit höchster Vorsicht gelesen werden.
Zurück zu Männlein-Robert: Leider hat sie ein anderes Wort des Aristoteles völlig übersehen, nämlich dass noch niemand jemals eine längere epische Komposition in Prosa geschrieben habe (Aristoteles Poetik XXIV 5 f.). Also kann auch die Atlantisgeschichte kein solches Epos in Prosa sein. Dieser Satz des Aristoteles wurde in Franke (2010/2016) S. 31 auf Atlantis bezogen, doch leider fehlt diese Literatur in der Bibliographie dieses Artikels. – Abgesehen davon, dass auch ein dichterisches Epos keineswegs zwangsläufig erfunden sein muss.
Aristoteles wird ein weiteres Mal von Männlein-Robert in Dienst genommen: "According to the scientific communis opinio, basically since Aristotle (Diogenes Laertius III 37 ...), Plato’s Atlantis story is ‘philosophical poetry’ in prose." (S. 115) – Dieser eine Satz enthält gleich mehrere hammerharte Behauptungen:
(1) Es gäbe eine wissenschaftliche communis opinio, dass die Atlantisgeschichte philosophische Dichtung in Prosa ist.
(2) Diese Meinung käme in einem Satz des Aristoteles in Diogenes Laertios III 37 zum Ausdruck.
(3) Diese communis opinio gäbe es seit Aristoteles.
Beginnen wir mit der zweiten Behauptung. Das Fragment des Aristoteles in Diogenes Laertios III 37 lautet kurz und knapp: "Aristoteles sagt, seine [Platons] Schreibart halte die Mitte zwischen Poesie und Prosa." (Übersetzung Otto Apelt / Hans Günter Zekl) Anders als Männlein-Robert behauptet, sehen wir hier nirgends einen Bezug auf Platons Atlantisgeschichte. Der Satz bezieht sich auf das ganze Werk Platons. Dieses Gesamtwerk ist in der Tat eine Mischung aus Fiktion und Realität. Und es lässt sich auch grob einteilen, was daran Fiktion und was Realität ist: Die Dialogsituationen sind fiktional, die Inhalte der Dialoge jedoch real. Natürlich sind nicht alle Dialogsituationen fiktional: Die Apologie basiert auf einer Situation, die real war. Und es sind auch nicht alle Inhalte real; die meisten aber schon: Vor allem natürlich die vorgeführte Philosophie, aber auch viele Geschichten, von der Kugelgestalt der Erde bis hin zur sexuellen Enthaltsamkeit der Athleten vor den Wettkämpfen. Wie auch immer: Man kann dieses lapidare und völlig allgemein gehaltene Fragment des Aristoteles keinesfalls dazu heranziehen, um zu zeigen, dass Platons Atlantisgeschichte eine philosophische Dichtung in Prosa ist. Warum Männlein-Robert es dennoch getan hat, ist ein Rätsel.
Die dritte Behauptung, dass man sich seit den Zeiten des Aristoteles ("basically since Aristotle") unter Gelehrten einig darin sei, dass es sich bei der Atlantisgeschichte um philosophische Dichtung in Prosa handelt, ist ebenfalls völlig falsch. Denn zu den antiken Atlantisbefürwortern gehörten z.B. auch Krantor oder Theophrast, der direkte Schüler des Aristoteles, der Aristoteles in der Leitung von dessen Philosophenschule nachfolgte. Wir wissen auch von Strabon und Poseidonios u.v.a führenden antiken Autoren, dass sie im Prinzip von der Realität von Atlantis ausgingen. Erst das Aufkommen fiktionaler literarischer Gattungen wie des historischen Romans, sowie das Aufkommen der Idee bei manchen Christen, dass die Welt nicht älter als 6000 Jahre alt ist, wodurch die 9000 Jahre von Atlantis nicht mehr ins bevorzugte Schema passten, ließen den Zweifel sprießen. Der erste namentlich bekannte Atlantisskeptiker trat erst 500 Jahre nach Platon auf. Von einer eindeutigen Hinwendung der Wissenschaft zur Atlantisskepsis kann ohnehin erst im 19. Jahrhundert die Rede sein. Bis dahin waren die Meinungen sehr gemischt. All das ist längst publiziert (Franke (2016/2021)), doch die entsprechende Literatur fehlt in Männlein-Roberts Literaturliste.
Kommen wir schließlich zur ersten der drei Behauptung, dass es nämlich angeblich eine wissenschaftliche communis opinio gibt, dass es sich bei Platons Atlantisgeschichte um eine philosophische Dichtung in Prosa handelt. Auch diese Behauptung ist falsch. Natürlich gibt es eine vorherrschende Meinung, doch diese lautet, dass Atlantis eine Erfindung Platons ist. Doch die Meinung, dass Atlantis eine Erfindung ist, ist nicht identisch mit der Behauptung, dass es philosophische Dichtung in Prosa im hier vorgestellten Sinne ist. Alle Wissenschaftler, die Atlantis für einen Täuschungsmythos halten, teilen diese Meinung z.B. nicht. Ein Täuschungsmythos, der nicht als Fiktion erkannt werden will, ist literarisch völlig anders einzuordnen als Männlein-Roberts Idee von der literarischen Gattung der Atlantisgeschichte. Und es sind nicht wenige Wissenschaftler, die von einem Täuschungsmythos ausgehen, auch wenn deren Zahl sich nur schwer bestimmen lässt, da viele Wissenschaftler diese Frage in der Schwebe halten. Und dann gibt es tatsächlich einige wenige Andersdenkende gegen Atlantis als eine Erfindung, die Männlein-Robert selbst nennt, wenn auch nur in Fußnoten: John V. Luce (S. 119 Fußnote 16, allerdings bleibt die Existenztheorie von Luce unerwähnt) und explizit Herwig Görgemanns (S. 120 Fußnote 23). Es ist zumindest seltsam, auf der einen Seite von einer wissenschaftlichen communis opinio zu sprechen, auf der anderen Seite aber dissidente Atlantisbefürworter anzuführen. Wir können uns nur wundern.
Man könnte auch fragen, wie Männlein-Robert den folgenden Satz von Walter Mesch über die Atlantisgeschichte einordnen würde: "Die Schilderung der Frühzeit bedient sich dagegen ... vor allem einer wahrscheinlichen Erzählung (eikos logos), die ähnlich konstruierend verfährt wie die Kosmologie des Timaios ... In der Literatur ist es deshalb üblich, die mythische Vergangenheit im Sinne einer bloßen Vorgeschichte von der eigentlichen historischen Vergangenheit zu unterscheiden. Dies sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die platonische Darstellung den Unterschied eher marginalisiert. Wie für die Atlantis-Sage betont wird, dass es sich um eine wahre Geschichte handelt, soll auch die wahrscheinliche Geschichte der Nomoi mehr liefern als bloße Annahmen." (Mesch in Horn et. al. (2009) S. 250) – Mesch spricht hier bewusst von "Sage" im Sinne der literarischen Gattung Sage, die einen historischen Kern hat, und meint, dass diese Sage mehr als nur bloße Annahmen liefern sollte. Eine lupenreine Erfindungsthese ist das gewiss nicht mehr. Die behauptete wissenschaftliche communis opinio existiert nicht.
Der Erfahrung nach wird eine wissenschaftliche communis opinio bzw. ein "Konsens" ohnehin fast immer nur dann beschworen, wenn es diesen in Wahrheit nicht gibt. Dieses Spiel sollte man nicht mitspielen. Eine große Mehrheit reicht völlig, sollte man meinen, um einem Standpunkt Gehör zu verschaffen. Der Rest muss durch Argumente geschehen. Allerdings ist auch eine Mehrheit nicht immer etwas wert. Denn die überwältigende wissenschaftliche Übereinstimmung in bezug auf Platons Atlantisgeschichte besteht praktisch ausschließlich in der einen einzigen Annahme, dass es eine Erfindung Platons ist. In allen anderen Fragen, einschließlich der Frage, was diese Erfindung denn soll, herrscht in der Wissenschaft alles andere als Einigkeit. Und das ist bei Lichte besehen schwach. Sehr schwach.
Einige dieser Meinungsverschiedenheiten werden auch von Männlein-Robert kurz angeschnitten, doch nur in Fußnoten. Da ist zunächst die Debatte, wer der Dialogteilnehmer Kritias ist (S. 116, Fußnoten 3 und 4). Dann die Frage, warum der Dialog Kritias unvollendet blieb (S. 117 Fußnote 12; S. 119 Fußnote 18). Dann die Frage, ob Solon und Platon wirklich in Ägypten waren (S. 119 Fußnote 16). – Hier werden übrigens Anachronismen allzu leicht als Fiktionssignal gewertet und die zeitgeistige Skepsis zu wenig hinterfragt. – Und schließlich, dass es zur Realitätsfrage von Atlantis tatsächlich auch Andersdenkende gibt (S. 120 Fußnote 23). Es bleiben aber auch viele Fragen unproblematisiert. So z.B. die wiederholte Behauptung Männlein-Roberts, dass Platon mit seiner Atlantisgeschichte auf das Athen seiner Zeit zielte (S. 114, S. 117 Fußnote 11, S. 121). Es gibt aber auch Autoren, die davon ausgehen, dass Platon Syrakus und die Bedrohung durch Karthago im Sinn hatte. Immerhin hat auch Platon selbst nur in Bezug auf Syrakus politische Ambitionen erkennen lassen. Hier fehlt es in der Bibliographie des Artikels an Literatur. Vielleicht aber hatte Platon auch überhaupt keinen konkreten Plan für seine eigene Zeit gehabt, sondern philosophierte einfach nur mit einer überzeitlichen Perspektive?
Zurück zur Behauptung einer wissenschaftlichen communis opinio: Auch wenn es eine solche gäbe, würde das nichts heißen. Die Geschichte der Wissenschaften ist voll davon, wie sich neue Ideen gegen vorherrschende alte Ideen durchsetzen mussten, und es kann ja auch gar nicht anders sein. An dieser Stelle – wo es um verbreitete wissenschaftliche Meinungen und um Aristoteles geht – ist auch die Frage angebracht, warum Männlein-Robert dazu schweigt, dass in der neueren wissenschaftlichen Literatur immer noch die Meinung sehr verbreitet ist, dass sich Aristoteles explizit gegen die Existenz von Atlantis ausgesprochen habe? Wenn sie eine derart verbreitete Auffassung nicht teilt, hätte sie das ansprechen müssen. Doch Männlein-Robert schweigt. Auch zu dieser Frage fehlt das Werk in ihrer Literaturliste (ebenfalls Franke (2010/2016) wie oben).
Wie viele andere Atlantisskeptiker auch glaubt Männlein-Robert, in Platons Atlantisgeschichte verschiedene Fiktionssignale erkennen zu können, die die Geschichte als Fiktion erkennbar machen (S. 115). Ein erstes solches Signal glaubt sie in dem Umstand erkennen zu können, dass Platon die Atlantisgeschichte teilweise wie ein homerisches Epos anlegt (S. 117). Doch leider ist das in gar keiner Weise ein Fiktionssignal. Denn die homerischen Epen, speziell die Ilias, bauen auf Ereignissen auf, die grundsätzlich historisch zu verstehen sind. Den Trojanischen Krieg hatte es nach Meinung der alten Griechen tatsächlich gegeben. Und auch die Geschichte von Achilles mag auf einen historischen Kern zurückgehen, der vom Dichter teils gestaltet, teils weitergesponnen wurde. Es wäre jedenfalls ganz falsch, aus der Abfassung einer Geschichte als Epos den Schluss zu ziehen, dass es sich um eine Erfindung handelt.
Generell begeht Männlein-Robert einen Fehler, der sich wie ein Roter Faden durch fast die gesamte wissenschaftliche Atlantisliteratur hindurchzieht: Dichtung wird grundsätzlich als Erfindung gedeutet. Doch nichts könnte falscher sein. Weder Platons Vorstellungen von guter Dichtung noch die empirisch vorhandene Dichtung des klassischen Altertums stützen die These, dass Dichtung zuerst und vor allem als Erfindung zu verstehen ist. Doch wenn es um Atlantis geht, wird oft wie selbstverständlich davon ausgegangen. So meint Männlein-Robert z.B., dass die dichterischen Elemente dem historischen Aspekt unterlaufen würden (S. 118). Das ist jedoch keinesfalls so, gerade auch bei Platon nicht. Auch die Kosmologie des Timaios wird in den Dialogen als Dichtung angesprochen, sie ist aber völlig ernst gemeint.
Sehr seltsam auch die Auffassung, dass die Anrufung der Göttin der Erinnerung ein Fiktionssignal und typisch für Epen sei (S. 117). Denn nur wenige Zeilen zuvor erklärte Männlein-Robert selbst, dass die Anrufung der Göttin der Erinnerung "unusual" sei. Die Anrufung der Göttin der Erinnerung passt hervorragend in das Deutungsschema einer erinnerten historischen Geschichte, jedoch nicht in das Deutungsschema einer erfundenen Dichtung, wie Männlein-Robert selbst richtig erkennt. Es bleibt rätselhaft, warum dies dann ein Fiktionssignal sein soll.
Auch in der Zeitangabe von 9000 Jahren will Männlein-Robert ein Fiktionssignal erkennen (S. 117 Fußnote 13). Doch das ist mit großer Klarheit falsch. Denn zur Zeit Platons befanden sich alle Griechen in dem Irrtum, dass Ägypten 11.000 und noch mehr Jahre alt ist. Im historischen Kontext interpretiert, passen die 9000 Jahre also perfekt ins Schema der damaligen irrigen Annahme, zumal die Atlantisgeschichte ja eine Geschichte aus Ägpyten sein soll. Egal, ob Platon die Atlantisgeschichte erfand oder ob er eine Überlieferung aus Ägypten verarbeitete: Platon wollte mit den 9000 Jahren gewiss nicht auf die letzte Eiszeit verweisen, sondern auf einen Zeitpunkt nach der Gründung Ägyptens, und das bedeutet nach moderner Sicht auf einen Zeitpunkt nach 3000 v.Chr.
Von anderen Atlantisskeptikern übernimmt Männlein-Robert auch die irrige Annahme, dass die Gründung der ägyptischen Stadt Sais 1000 Jahre nach der Gründung der Stadt Athen bedeuten würde, dass die Atlantisgeschichte 1000 Jahre lang (!) mündlich (!) bei den Griechen (!) überliefert worden wäre, bevor sie dann im ägyptischen Sais aufgeschrieben wurde (S. 116, 117 Fußnote 13, 119). Doch das ist falsch. Dem Irrtum liegt im Kern eine Verwechslung von Ägypten und Sais zugrunde. Ägypten existierte (in den Augen der alten Griechen) natürlich schon viel länger, nämlich mindestens 10.000 Jahre, wie Platon z.B. in den Nomoi zu erkennen gibt (Nomoi II 656e), und wie es alle antiken Autoren zu Platons Zeit ebenfalls annahmen (z.B. Herodot II 142: 11.340 und mehr Jahre).
Der Irrtum der Atlantisskeptiker wird auch leicht daran ersichtlich, dass nichts davon explizit bei Platon geschrieben steht. Die Idee einer tausendjährigen mündlichen Überlieferung (zumal in Griechenland!) existiert allein in den irrigen Schlussfolgerungen moderner Atlantisskeptiker, nicht jedoch in Platons Text. Wenn Platon tatsächlich eine so außerordentliche Aussage hätte machen wollen, dann hätte er das explizit geschrieben. In Wahrheit wurde der Krieg von Atlantis im Sinne Platons auch gegen Ägypten geführt, und ägyptische Schreiber schrieben das Ereignis auf. Die einzige legitime Schlussfolgerung, die man hier ziehen kann, ist die, dass die schriftlichen Aufzeichnungen nach Meinung von Platon irgendwann von einem anderen ägyptischen Tempel nach Sais gekommen sein müssen. Das ist keine allzu außergewöhnliche Annahme. – Die wahre Chronologie sah natürlich ganz anders aus. Die ägyptische Spätzeit, zu der Solon und Platon mutmaßlich in Ägypten waren, ist bekannt dafür, völlig falsche Vorstellungen von der eigenen ägyptischen Vergangenheit gehabt zu haben.
Immerhin äußert Männlein-Robert selbst leise Zweifel an der von ihr übernommenen Hypothese von der tausendjährigen mündlichen Überlieferung: "But we may ask, how the Attic illiterate highlanders are supposed to preserve such a complex description of human and religious conditions in ancient Athens and Atlantis, and how they could hand it down all the way to Egypt?" (S. 117 Fußnote 13) – Dieser berechtigte Zweifel sollte sich aber nicht gegen Platon richten, der solches nicht sagt, sondern gegen jene Atlantisskeptiker, die Platon solches unterschieben.
Männlein-Robert hat auch völlig den Sinn verkannt, der in Platons Atlantisdialogen mit dem Blick in die ägyptischen Archive verbunden wird. Männlein-Robert schreibt: "It falls into a quasi-prehistoric time, only remembered in the written tradition of the priests of Sais." (S. 116) – Der Blick in die ägyptischen Archive eröffnet in der Tat einen Blick in eine Vergangenheit, die für die Griechen buchstäblich prähistorisch war, denn die Griechen hatten keine schriftliche Überlieferung davon. Doch die Ägypter hatten sie, und durch die schriftliche Überlieferung wird aus der prähistorischen plötzlich eine historische Zeit. Das ist ein ganz wesentlicher Aspekt der Atlantisgeschichte (Timaios 22b-23b). Deshalb ist es völlig unangebracht, wenn Männlein-Robert von "only remembered" schreibt. Was hier mit "only" kleingeredet wird, ist in Wahrheit das ganz große Ding! Und um der Wahrheit Ehre zu geben: Auch die moderne Geschichtswissenschaft weiß von vielen historischen Ereignissen nur deshalb, weil die Ägpyter schriftliche Aufzeichnungen davon anfertigten. Platons Idee eines tieferen Blickes in die Vergangenheit mithilfe der ägyptischen Aufzeichnungen hat bis heute nichts an Gültigkeit verloren.
Eine weitere zeitliche Lücke in der Überlieferung sieht Männlein-Robert zwischen dem Tod Solons (ca. 560 v.Chr.) und der Geburt von Kritias dem Älteren (hier ca. 540 v.Chr., andere sagen 520 v.Chr.) (S. 117 Fußnote 13). Auch diese Lücke existiert natürlich nicht wirklich. Diese Lücke existiert nur dann, wenn man in dem Dialogteilnehmer Kritias den Tyrannen Kritias erblickt. Diese implizite Annahme wird bei Männlein-Robert jedoch nirgendwo explizit ausgesprochen. Eine Seite zuvor hatte sie die Frage nach der Identität des Dialogteilnehmers Kritias noch völlig offen gelassen (S. 116 Fußnoten 3 und 4). Der Dialogteilnehmer Kritias war nicht der Tyrann sondern ein "mittlerer" Kritias, und dessen Großvater wiederum ist der Kritias aus der Szene des Apaturienfestes. Es gibt hier keine chronologische Lücke, und diese Meinung ist in der wissenschaftlichen Literatur gut vertreten. Allerdings fehlen in der angefügten kurzen Literaturliste wichtige Werke.
Wie viele Atlantisskeptiker hebt Männlein-Robert sehr auf den Aspekt einer angeblichen mündlichen Überlieferung der Atlantisgeschichte ab. Wir sahen dies bereits bei der angeblich eintausendjährigen Überlieferung oben, die es in Platons Text gar nicht gibt. Im Zusammenhang damit denkt Männlein-Robert über ein "kollektives Gedächtnis" nach (S. 120). Außerdem würde Solon die ägyptischen Aufzeichnungen in eine mündliche Geschichte verwandeln (S. 119). Einer mündlichen Überlieferung haftet natürlich immer der Makel der Variation und des Vergessens an. – Dem ist entgegenzuhalten: Die Atlantisgeschichte wurde von Anfang an in Ägypten aufgezeichnet, und auch Solon fertigte in Ägypten Aufzeichnungen an, die dann (im Dialog) in den Besitz des Kritias (und in der Realität) vermutlich in den Besitz Platons kamen. Männlein-Robert selbst erwähnt das Manuskript im Besitz des Kritias (S. 119). Die mündliche Überlieferung von Solon Schritt für Schritt bis in die Dialogsituation hinein dürfte von Platon gestaltet worden sein, denn er musste ja die Aufgabe lösen, eine historische Überlieferung in eine fiktionale Dialogsituation hinein zu bringen. Das ist der Hautpgrund für diese parallele mündliche Überlieferung von Solon bis Kritias. Ausgerechnet dort, wo Platon dann tatsächlich ein wenig erfinderisch tätig war, um eine plausible Überführung der Geschichte in seinen fiktionalen Dialog zu bewerkstelligen, nehmen es die Atlantisskeptiker bierernst.
Als ein weiteres Fiktionssignal nennt Männlein-Robert die Kompliziertheit der Überlieferungsgeschichte (S. 117). Doch wie wir inzwischen wissen, ist die Überlieferungsgeschichte vergleichsweise einfach: Schriftliche Aufzeichnungen in Ägypten, schriftliche Aufzeichnungen durch Solon, und fertig. Die eigentliche Problematik liegt in den Transfers von Zeitalter zu Zeitalter, und von Kultur zu Kultur. Wer um die Verschiedenheiten und typischen Missverständnisse von Zeitaltern und Kulturen weiß, wird in der Atlantisgeschichte viele solcher typischen Fehler entdecken, die so manche phantastisch klingende Angabe plötzlich sehr realistisch erscheinen lässt. Doch um dieses Geschäft haben sich die Atlantisskeptiker nie gekümmert.
Weitere Fiktionssignale erblickt Männlein-Robert in den angeblich in der Atlantisgeschichte enthaltenen Wahrheitsbeteuerungen, die zudem häufig sein sollen, und in der Fülle von Details und Zahlenangaben. Dazu Männlein-Robert: "In ancient literature, all these features are to be meant as characteristics of fictional and utopian texts." (S. 118) – Diese Aussage ist jedoch nicht für alle Epochen der antiken Literatur gültig. Der historische Roman, also eine fiktionale historische Darlegung, die von den Lesern als Fiktion verstanden werden sollte, entstand z.B. erst im 2. Jahrhundert n.Chr., also lange nach Platon. Die wiederholte Aussage, dass eine Geschichte wahr ist, und der Umstand, dass sie viele Details und Zahlen enthält, wären in späterer Zeit in der Tat ein Fiktionssignal, in Platons Zeit jedoch nicht. Mit diesem Kriterium könnte man auch Herodot zum Romanautor erklären. Außerdem muss man beachten, wie Platon seine Dialoge schrieb und nach welchen Prinzipien er seine sogenannten Platonischen Mythen gestaltete (vgl. Franke (2021)). Die Atlantisgeschichte wurde von Platon "gestaltet", soviel ist gewiss, doch dass es sich um reine Erfindung handelt, ist eher nicht anzunehmen. Außerdem sind die meisten Wahrheitsbeteuerungen bei genauerem Hinsehen gar keine. Auch hier wurde Platon schon viel von Atlantisskeptikern und naiven Atlantissuchern untergeschoben.
Schließlich wird es als Fiktionssignal erkannt, dass die Geschichte sich "all factual examination" entziehe (S. 118), und dass Solon die erste konkrete quasi-historische Evidenz für die Wahrheit der Atlantisgeschichte sei (S. 119). Auch das ist falsch. Platon verankert die Atlantisgeschichte mehrfach in der bekannten Realität, so z.B. durch die Geologie in Athen oder den angeblich vor den Säulen des Herakles existierenden Schlamm im Meer, von dem auch Aristoteles glaubte, dass er real sei (Meteorologica II 1 354a.). Die größte Verankerung in der Realität ist jedoch die Stadt Sais in Ägypten. Angeblich war Krantor tatsächlich nach Ägypten gereist, wo er die Atlantisgeschichte angeblich bestätigt fand. Mehr faktische Nachprüfung geht nicht, auch wenn wir heute natürlich nicht mehr wissen, was Krantor wirklich an Belegen vorzuweisen hatte.
Den Bezug zum Konferenzthema stellt Männlein-Robert schließlich her, indem sie verschiedene Transferleistungen, die in Platons Atlantisgeschichte sichtbar werden, als symbolische Ressourcen deutet, auf die Platon durch seine Atlantisgeschichte habe hinweisen wollen (S. 118-121). Platon hätte seine Atlantisgeschichte also als eine Art Demonstrationsobjekt verstanden, nicht als Realität, und die enthaltenen Transferleistungen sind für Männlein-Robert nicht real, sondern zu Demonstrationszwecken simuliert.
Allerdings sind es die ganz gewöhnlichen Transferleistungen, die man bei jedem Historiker, also z.B. auch bei Herodot, finden kann. Da wird Wissen von Alt nach Jung übertragen: Wie sollte es auch anders sein? Es wird von Kultur zu Kultur übertragen. Es wird Sprache übersetzt. Es wird zwischen verschiedenen Zeichensystemen, Zeichenträgern und Sprachen hin und her übertragen. Es wird aus der Erinnerung hervorgeholt, und Erinnerung in schriftlichen Aufzeichnungen aufbewahrt.
Es erhebt sich die Frage, was daran nun so besonders sein soll? Dazu hätte Platon keine Atlantisgeschichte schreiben müssen. Da hätte er auch einfach Herodots Historien hernehmen können. Und warum weist Platon nicht darauf hin, dass die Atlantisgeschichte nur als Demonstrationsobjekt zu verstehen ist? Alles in allem überzeugt dieser Ansatz nicht. Die Atlantisgeschichte nicht historisch deuten zu wollen, ist eine Verdrehung der Perspektive "hintenrum durch die Brust ins Auge". Aus wissenschaftlicher Sicht wären naheliegendere Deutungen zu bevorzugen.
Es muss auch gefragt werden, wieviel echte Ressourcen eine erfundene Geschichte bieten kann. Männlein-Robert schreibt z.B. von "values constructed by the Atlantis story as 'historical' resource." (S. 114) Was sind "konstruierte Werte" eigentlich wert? Ich dachte immer, dass Platon seine Philosophie als Entdeckung der Realität anlegt, und nicht als Erfindung einer Ideologie. Eine realitätsfremde, erfundene Ideologie ist jedenfalls nutzlos. Sie ist keine hilfreiche Ressource. Sokrates hat Recht: Eine reale Geschichte ist wirklich besser als eine erfundene Geschichte.
Der Artikel von Männlein-Robert enthält einige Fehler, über die man sich nur wundern kann. Über pseudowissenschaftliche Atlantisbefürworter heißt es z.B., dass sie Atlantis "a thousand years ago" suchen würden (S. 114). Sie meint gewiss "ten thousand years ago" oder ähnlich, sonst macht das keinen Sinn. Von Atlantis heißt es: "the population is depraved", und von Zeus, dass er "revenge" ausübe (S. 117). Beides ist natürlich falsch. Nur die Könige von Atlantis sind "depraved", nicht das Volk von Atlantis, und Zeus will auch keine Rache, sondern strebt eine Läuterungsstrafe an. Abgesehen davon, wie es möglich sein soll, dass ein guter Gott im Sinne Platons nach Rache verlangt?
Eine seltsame doppelte Verneinung verwundert: "This poetical fiction in prose does neither belong to traditional Greek myth nor is not bound to historiographic precision of facts." (S. 118) Das "not" in "nor is not" ist eindeutig zu viel. Alles andere wäre verwunderlich. Auch die Wendung "the presumably historic – Atlantis" (S. 121) verwundert. Es müsste wohl eher "allegedly" oder "supposedly" heißen, aber nicht "presumably".
Es ist auch unzutreffend, dass der Idealstaat mit Ur-Athen "equated" wird (S. 120, ähnlich S. 113). Besser ist es hier getroffen: "Socrates confirms the close affinity between the two states ..." (S. 116). Der Unterschied ist entscheidend. – Ebenfalls falsch ist die Darstellung der Atlantisgeschichte als einer simplen Moralgeschichte (S. 120), in der die "guten" Ur-Athener die "bösen" Atlanter besiegen, die daraufhin untergehen. Denn es gehen auch die Ur-Athener am Ende unter. Das bleibt allerdings ungesagt, und auch dazu fehlt wichtige Literatur, hier vor allem Brandenstein (1951).
Ganz am Ende wird die Atlantisüberlieferung als "myth" bezeichnet (S. 120). Damit können wir nun gar nichts anfangen. Es sollte doch eine erkennbare Erfindung, ein Demonstrationsobjekt sein? Da kann es doch kein Mythos sein? Es kann nicht einmal ein Kunstmythos sein, denn die Atlantisüberlieferung ist auch als Erfindung mit Klarheit kein Mythos sondern immer noch eine historische Überlieferung, wenn auch eine erfundene. Wie man es auch dreht und wendet, es ist kein Mythos.
Die Qualität des vorliegenden Artikels ist nicht gut. Wie konnte es dazu kommen? Wir haben eine Vermutung. Der Vortrag, den dieser Artikel wiedergibt, wurde am frühen Abend als letzter Vortrag vor dem Konferenzdinner gehalten (Donnerstag 13. Februar 2020, 17:15 Uhr). Für gewöhnlich achten Konferenzveranstalter darauf, dass dieser Vortrag die Konferenzteilnehmer intellektuell nicht mehr allzu sehr in Anspruch nimmt, denn es ist schon spät, und dass dieser Vortrag dazu geeignet ist, die Konferenzteilnehmer auf das gemeinsame Konferenzdinner einzustimmen. Auf die Qualität des Vortrages kommt es bei all dem nicht sonderlich an.
Zu diesem Zweck wird oft ein "buntes" Thema gewählt, das nicht selten eher notdürftig auf das Thema der jeweiligen Konferenz hingebogen wird. Dieses "bunte" Thema war in diesem Fall Atlantis. Und es wird üblicherweise versucht, die Gemeinsamkeit der Konferenzteilnehmer zu beschwören. Dies geschah hier u.a. durch die Polarisierung von wissenschaftlicher Atlantisskepsis gegen pseudowissenschaftliche Atlantisbefürwortung, die am Ende in dem Aufruf gipfelte: "Forget about Atlantis" (Titel und Conclusion des Artikels). Berichterstatter geben die Intention des gehaltenen Vortrages auch mit folgenden Worten wieder: "the search for Atlantis should end, as it is only a story." Es ging wohl emotionaler zu, als der gedruckte Artikel vermuten lässt.
Inzwischen gibt es eine ganze Reihe von wissenschaftlichen Veröffentlichungen zu Atlantis, die nach einem solchen Muster zustande gekommen sind. Es ist naheliegend zu vermuten, dass sich auch dieser Artikel in das Schema einreiht. Wir hatten diese Vermutung bereits im Atlantis-Newsletter Nr. 134 vom 5. April 2020 geäußert, und sehen uns jetzt bestätigt.
Atlantis ist natürlich nicht "obviously an artistic and meaningful invention of tradition." (S. 120) Es ist nicht zulässig, wie selbstverständlich von der Erfindung der Atlantisgeschichte auszugehen, und dann alle nur greifbaren Argumente zusammen zu raffen, um diese These zu belegen. Insbesondere darf man auf keinen Fall moderne Sichtweisen in antike Kontexte hinein projizieren. Männlein-Robert zitiert treffend Edmund Husserl, dass "Vergangenheit immer von der Gegenwart her konstituiert wird." (S. 120 Fußnote 21) Wissenschaft hat darauf zu achten, dass diese Konstitution der Vergangenheit von der Gegenwart her einem Wahrheitsanspruch folgt. Es ist auch nicht zulässig, Atlantisbefürworter pauschal als unwissend und pseudowissenschaftlich darzustellen (S. 114). Die Frage nach Atlantis als einem realen Ort darf auf keinen Fall in Vergessenheit geraten, denn es geht um die richtige Interpretation Platons. Besser wäre es, statt Atlantis lieber den vorliegenden Artikel zu vergessen.
Weniger gebildete Leser dieses Kommentars seien davor gewarnt, die akademische Wissenschaft infrage zu stellen oder zu verspotten. Trotz vieler Unzulänglichkeiten gibt es keine Alternative zur akademischen Wissenschaft. Und meiner bescheidenen Meinung nach ist Irmgard Männlein-Robert im allgemeinen ein Beispiel für exzellente akademische Wissenschaft.
Brandenstein (1951): Wilhelm Brandenstein, Atlantis – Größe und Untergang eines geheimnisvollen Inselreiches, Heft 3 aus der Reihe: Arbeiten aus dem Institut für allgemeine und vergleichende Sprachwissenschaft Graz, herausgegeben von Wilhelm Brandenstein,Verlag Gerold & Co., Wien 1951.
Clay (1999/2000): Diskin Clay, The Invention of Atlantis: The Anatomy of a Fiction, with an introduction by Gary M. Gurtler SJ, in: John J. Cleary / Gary M. Gurtler SJ (Hrsg.), Proceedings of the Boston Area Colloquium in Ancient Philosophy, Vol. XV / 1999, Brill, Leiden/Bosten/Köln 2000; S. ix-xi, 1-21.
Franke (2010/2016): Thorwald C. Franke, Aristoteles und Atlantis – Was dachte der Philosoph wirklich über das Inselreich des Platon?, zweite verbesserte und vermehrte Auflage, Verlag Books on Demand, Norderstedt 2016. Erstauflage war 2010.
Franke (2016/2021): Thorwald C. Franke, Kritische Geschichte der Meinungen und Hypothesen zu Platons Atlantis – von der Antike über das Mittelalter bis zur Moderne, 2. Auflage, 2 Bände, Verlag Books on Demand, Norderstedt 2021. Erstauflage war 2016.
Franke (2021): Thorwald C. Franke, Platonische Mythen – Was sie sind und was sie nicht sind – Von A wie Atlantis bis Z wie Zamolxis, Verlag Books on Demand, Norderstedt 2021.
Horn et. al. (2009): Christoph Horn / Jörn Müller / Joachim Söder (Hrsg.), Platon Handbuch – Leben – Werk – Wirkung, Verlag J.B. Metzler, Stuttgart / Weimar 2009.
Männlein-Robert (2021): Irmgard Männlein-Robert, Forget about Atlantis – Plato’s Invention of Tradition or Symbolic Dimensions of Knowledge, in: Tobias Schade et al. (Hrsg.), Exploring Resources: On Cultural, Spatial and Temporal Dimensions of ResourceCultures, Band 13 der Reihe RessourcenKulturen, Tübingen University Press, Tübingen 2021; S. 113-123.
Regali (2012): Mario Regali, Il poeta e il demiurgo – Teoria e prassi della produzione letteraria nel Timeo e nel Crizia di Platone, Band 30 der Reihe: International Plato Studies, published under the auspices of the International Plato Society, Academia Verlag, Sankt Augustin 2012.
Tulli (2013): Mauro Tulli, The Atlantis poem in the Timaeus-Critias, in: George Boys-Stones / Dimitri El Murr / Christopher Gill (Hrsg.), The Platonic Art of Philosophy, Festschrift für Christopher Rowe, Cambridge University Press, Cambridge / New York 2013; S. 269-282.
Tagungsband der Konferenz mit Männlein-Roberts Artikel zum kostenlosen Herunterladen.
[https://www.tuebingen-university-press.de/reihen.php]
Konferenzseite mit Programm.
[https://uni-tuebingen.de/fakultaeten/wirtschafts-und-sozialwissenschaftliche-fakultaet/faecher/fachbereich-sozialwissenschaften/empirische-kulturwissenschaft/forschung/tagungen/sfb-1070-conference-2020-resourcecultures-reflections-and-new-perspectives/]
Konferenzbericht mit einigen Worten über Männlein-Roberts Vortrag.
[https://www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-8711]