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Die Atlantis-skeptische Atlantis-Doku,
die vor lauter Eifer einfach alles falsch macht

Eine Rezension

Thorwald C. Franke
© 14. August 2021



Die Fernsehdokumentation "The Search for Atlantis: The True Story" wurde im Jahr 2000 von Atlantic Productions Ltd. für den britischen Fernsehkanal Channel 5 produziert. Regie führte Shaun Trevisick. Rechercheure waren Martin Andreasson und Fiona Garlick. Es gibt eine Langfassung von ca. 96 und eine Kurzfassung von ca. 48 Minuten. Beide Fassungen enthalten im wesentlichen dieselben Aussagen.

Es handelt sich um eine beeindruckende Ansammlung von Irrtümern über Platons Atlantis, die die Leichtgläubigkeit und die Eingebildetheit von Atlantisskeptikern offenbart. Nur wer so sehr von seiner eigenen These überzeugt ist, dass er jede Sorgfalt fahren lässt und glaubt, Fünf auch mal gerade lassen zu dürfen, solange es nur der vermeintlich guten Sache nützt, kann ein solches Machwerk produzieren.

Die Anfänge

Es fängt – wie so oft – damit an, dass Atlantis zu einem paradiesischen Wunderland erklärt wird. Das geschieht natürlich wie immer deshalb, um Atlantis hinterher umso leichter für erfunden erklären zu können. Allerdings überschlägt sich diese Doku geradezu mit solchen Erklärungen. Es genügt offenbar nicht, von "rare plants", "exotic animals" und "sacred island" zu reden. Nein, auch "earthly paradise" und "land of plenty" muss es sein. Von den kalten Winden aus dem Norden oder der Trockenheit im Sommer wird nicht gesprochen. Auch gibt es keine Vergleiche mit anderen antiken Berichten von realen Ländern, die von der Natur gesegnet sind, z.B. von Herodot über Mesopotamien. Es gibt kein Zögern und kein Nachdenken über die eigene Position in dieser Doku. Man ist sich sicher, es mit einer Art Mythos vom Goldenen Zeitalter zu tun zu haben, wie immer wieder gesagt wird.

Mit dem historischen Kontext zu Platons Zeit und der Entstehungsgeschichte der Atlantisdialoge macht man sich nicht viel Arbeit. Es wird kein Blick auf Platons Philosophie geworfen, und auch nicht darauf, wie er seine Dialoge schrieb. Der Begriff "Platonischer Mythos" wird nicht einmal erwähnt. Kurzerhand heißt es, Platon hätte die Geschichte als kleiner Junge bei einer Dinner Party gehört. Dazu werden Bilder von einem kleinen Jungen bei einer Dinner Party eingeblendet. Die These ist ebenso falsch wie amüsant. Dann aber wird ganz tief in die Trickkiste gegriffen: Angeblich hätte außer Platon niemand die Geschichte aufgegriffen, und das für 18 Jahrhunderte, also bis zur Entdeckung Amerikas! Auf diese Weise entledigt man sich elegant jeder Diskussion über Aristoteles, Theophrast, Krantor, Strabon, Poseidonios, die Debatten von Platonikern mit den Christen oder auch den spätantiken Neuplatonikern, die meistens davon ausgingen, dass Atlantis ein realer Ort war. Davon soll der Zuschauer besser nichts erfahren.

Klimax bis zum "Höhepunkt"

Großspurig wird behauptet, dass mit Kolumbus die Suche nach Atlantis begann. Angeblich hätte Kolumbus nach der Insel Antilia gesucht, und der Name "Antilia" hätte sich angeblich im Mittelalter aus dem Namen "Atlantis" gebildet. Gleich zwei interviewte Fachleute bestätigen diese Thesen. Natürlich ist das alles falsch. Es gibt keinen Beleg und keinen Anhaltspunkt dafür, dass Kolumbus nach Atlantis suchte. Atlantis galt zudem als untergegangen: Das bedeutet, auch wenn man es für real hielt, glaubte man damals nicht, dass man dort hätte hinsegeln können. Die Dokumentation phantasiert frei und verkauft ihre Phantasie als Expertenmeinung.

Dann springt die Doku zu Carlos de Sigüenza y Góngora, der 1680 zeigen wollte, dass die amerikanischen Indianer ebenso Abkömmlinge von Atlantis sind wie die Europäer und deshalb als gleichwertige Menschen anerkannt werden müssen. Außerdem, dass die "Neue Welt"ebenfalls Hochkulturen wie die "Alte Welt" hervorgebracht hat. Sigüenza folgte einem klaren humanistischen Impuls. Doch dieses ehrenwerte Anliegen wird nur kurz gestreift, ja, das Vorhaben von Sigüenza wird fast schon abschätzig besprochen. Statt des humanistischen Impulses, der der Idee zugrundeliegt, wird der Irrtum der Kulturkontakte zwischen Amerika und Europa und der Irrtum einer biblischen Geschichtsbetrachtung herausgestellt, der für uns moderne Menschen natürlich offensichtlich ist, für die damaligen Menschen aber nicht. Es wird also übersehen, dass diese These – zur Zeit von Sigüenza – keinesfalls so pseudowissenschaftlich war, wie sie es heute ist. Und es wird übersehen, dass Sigüenza im Grunde doch mit vielem Recht hatte: Europäer und Indianer stammen tatsächlich von denselben Vorfahren ab. Nur dass der gemeinsame Ursprung nicht Atlantis war.

Auf diese ungünstige Betrachtung von Sigüenza wird noch eins draufgesetzt: Es wird nämlich behauptet, dass Sigüenza angeblich der erste war, der nach physischen Beweisen von Atlantis suchte! Was für ein Unfug: Sigüzena lebte ca. 200 Jahre nach der Entdeckung Amerikas, da lassen sich zahlreiche Atlantisbefürworter mit Bezug auf antike amerikanische Kulturen vor ihm nennen. Mehr noch. Als Sigüenza 1680 sein Werk veröffentlichte, da hatte auch schon Olof Rudbeck in Schweden sehr konkret nach Atlantis gesucht, und dabei erste Grundlagen für die entstehende archäologische Wissenschaft gelegt. Diese Doku weiß überhaupt nicht, wovon sie spricht.

Im Zeitalter der britischen Königin Elizabeth I. werden zwei Autoren besprochen: Francis Bacon und John Dee. Die technologisch fortgeschrittene Insel im Pazifik, die Bacon in seinem fiktionalen Werk "New Atlantis" beschreibt, soll von Überlebenden von Atlantis bevölkert worden sein. Doch das ist falsch. Sie heißt auch nicht Atlantis. Für Francis Bacon war Amerika Atlantis. – Es ist auch falsch, dass John Dee durch Kristallbeschauung Kontakt zu verstorbenen Atlantern aufgenommen haben soll. Das ist völliger Unsinn. Vielmehr nannte John Dee Amerika kurzerhand Atlantis, wie das in England zu seiner Zeit üblich gewesen zu sein scheint. In seinen Kristallbeschauungen versuchte John Dee biblische und kabbalistische Dämonen zu beschwören, nicht Atlantis.

Die nächste Station ist Frankreich. Im ersten Moment ist man noch bei der Ägyptenfaszination, die durch Napoleons Ägyptenexpedition ausgelöst wurde, und die in dieser Doku natürlich gleich zur "obsession" hochstilisiert werden muss – im nächsten Moment ist man bei Jules Verne! Wie wenn zwischen Napoleon und Jules Verne nicht wenigstens zwei Generationen Geschichte liegen würden. Die kurze Passage über Atlantis, die Jules Verne 1869/70 in seinem Roman "20.000 Meilen unter dem Meer" eingebaut hatte, wird als die faszinierendste Beschreibung von Atlantis seit Platon bezeichnet. Sie hätte einen großen Einfluss entwickelt und sogar Ignatius Donnelly inspiriert. Auch hier kann man gestrost alles vergessen, denn nichts davon ist wahr. Die Beschreibung von Atlantis bei Jules Verne ist sehr kurz. Und es wäre schön gewesen, wenn sie erwähnt hätten, dass Jules Verne säuberlich die Wissenschaftler aufgezählt hatte, die zu seiner Zeit für und wider die Existenz von Atlantis waren. Aber das wäre ja Niveau gewesen. Niveau kann man von dieser Doku nicht erwarten.

Dann kommt der unvermeidliche Ignatius Donnelly. Ja, er hat für die Popularisierung des Themas eine große Rolle gespielt, in der Tat. Von Rassismus-Vorwürfen bleibt er hier überraschenderweise weitgehend verschont. Dennoch wird die gute Absicht von Donnelly völlig verfehlt: Zum einen verschlüsselte Donnelly seine politisch progressiven Absichten in seiner Idee von Atlantis. Zum anderen meinte er es durchaus ernst mit seiner These, und es wäre darüber nachzudenken, warum die Wissenschaft ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt ihre Kraft verloren hatte, die Menschen davon zu überzeugen, dass Donnelly falsch liegt? Aber das wäre Selbstreflexion und Niveau, und Niveau ... gibt es hier nicht. Einer der interviewten Fachleute darf Donnellys Werk dann auch noch als Fiktion hinstellen, wie wenn Donnelly seine Mitmenschen hätte übers Ohr hauen wollen. Einfach nur Unsinn.

Bei Blavatsky, der nächsten Station, wird der Vorwurf des Rassismus dann voll ausgespielt. Allerdings ist es fraglich, ob Blavatsky auch gleich noch für den späteren Antisemitismus verantwortlich ist, denn immerhin zählte Blavatsky die Juden zu den Ariern. Was an dieser Stelle aber zudem zu stören beginnt und im weiteren Laufe der Doku immer stärker wird, ist der Vorwurf, dass die Atlantisgeschichte inhärent rassistisch sei. Da Atlantis als Mythos vom Goldenen Zeitalter gedeutet wird, wird den Atlantern eine Idealität zugeschrieben, die kein echter Mensch erfüllen kann. Doch das hat mit Platons Atlantis nichts mehr zu tun. Das hätte man sagen sollen. Doch der Hinweis unterbleibt.

Der "Höhepunkt" jeder niveaulosen Atlantisdoku: "Die Nazis"

Angeblich hatten die Propagandisten des Dritten Reiches die Idee einer reinen atlantischen Rasse, und angeblich hatten sie diese Idee von Blavatsky aufgegriffen. Sobald Hitler und die Seinen an der Macht waren, hätten sie angeblich eine Suche nach den frühesten Mythen gestartet: Nach der Bundeslade, dem Heiligen Gral, und nach Atlantis. Und "die Deutschen" hätten völkische Gruppen gebildet, in denen die deutsche Vergangenheit mit Atlantis in Verbindung gebracht wurde. – Das ist natürlich alles nur falsch. Hitler und der Nationalsozialismus hatten mit Atlantis u.a. "okkulten" Dingen gar nichts im Sinn. Nur einzelne Nationalsozialisten wie z.B. Heinrich Himmler verfolgten im Stillen und Privaten solche Ideen. Man könnte einige wenige von Himmlers Expeditionen als inoffizielle Atlantisexpeditionen bezeichnen, ja. Das war es dann aber auch. Atlantis spielte keine Rolle im nationalsozialistischen Deutschland. Atlantis kam nicht in den Lehrplänen der Schulen vor. An den Universitäten fuhren die Wissenschaftler fort, Atlantis zur Erfindung Platons zu erklären. Und die völkischen Gruppen waren kleine Minderheiten, z.B. der Artamanenbund. Die zentrale pseudowissenschaftliche Idee des Nationalsozialismus war der Biologismus, ein rücksichtsloser Sozialdarwinismus, aber kein Atlantisglaube. Dokumentationen wie diese vermitteln ein völlig falsches Bild vom Nationalsozialismus und den wahren Ursachen seiner Verbrechen.

Bezeichnend ist die Behauptung, dass die Nationalsozialisten nach dem Heiligen Gral und der Bundeslade gesucht hätten. Es ist zwar richtig, dass sich Heinrich Himmler in Spanien – ohne öffentliche Aufmerksamkeit – nach dem Heiligen Gral umsah. Aber nach der Bundeslade? Das kommt nur in den Indiana Jones Filmen vor. Das bedeutet, dass diese Doku ihren Zuschauern allen Ernstes eine Episode aus Indiana Jones als historisches Ereignis verkauft!

Von Adolf Hitler heißt es etwas verklausuliert, er habe von den Atlantis-Büchern von Edmund Kiss geglaubt, dass "they were a true-to- life, if fictionalized, representation of what actually happened", also: dass sie lebensnahe, wenn auch fiktionale Repräsentationen dessen seien, was wirklich geschehen ist. Das ist falsch. Wir wissen noch nicht einmal, ob Hitler die Bücher von Kiss überhaupt gelesen hat. Wir wissen hingegen genau, dass Hitler eine negative Meinung über Okkultismus und Atlantisspekulationen hatte. Himmler war mit seinen okkulten Ideen in der NS-Führung isoliert und wurde damit nur geduldet, weil er sie privat hielt. Es gibt lediglich ein Zitat Hitlers aus seinen letzten Jahren, die eine vorsichtige und zurückhaltende Akzeptanz der Welteislehre von Hörbiger – nicht aber der Ideen von Kiss – andeuten.

Es ist horrend, wenn diese Doku behauptet, dass angeblich "many Germans" und "Hitler himself" an die Wahrheit der Romane von Edmund Kiss glaubten, dazu an die Welteislehre von Hörbiger. Hinzu kommt, dass die Welteislehre von Hörbiger – so falsch sie an sich schon ist – hier mit einer weiteren Zutat aufgebläht wird, die mit der Welteislehre von Hörbiger überhaupt nichts zu tun hat: Es wird behauptet, dass der Samen der arischen Rasse aus dem Weltall stamme und höherwertig war als die Affenmenschen der Erde ... was diese Dokumentation behauptet ist nicht nur "ein bißchen" ahistorisch, sondern horrend und grotesk.

Ein besonderes Kunststück ist dieser britischen Atlantisdoku von 2003 mit der deutschen Atlantisdoku "Auf der Suche nach Atlantis" von 1933 gelungen. Angeblich hätte diese deutsche Atlantisdoku eine der vielen NS-Expeditionen auf der Suche nach Atlantis dokumentiert. Gezeigt wird angeblich eine deutsche Expedition nach Guatemala zu Ausgrabungen der Maya-Kultur. Dabei wurden langgezogene Totenschädel gefunden. Die Wissenschaftler würden der Frage ausweichen, was es mit diesen langgezogenen Totenschädeln auf sich hat. Einheimische ("local people") würden eine Verbindung zu Atlantis ziehen. – In Wahrheit verdankt sich die deutsche Dokumentation von 1933 einer Filmexpedition, keiner wissenschaftliche Expedition, und die Auftraggeber waren auch keine Nationalsozialisten. Die gefilmten Ausgrabungen fanden in Venezuela statt, nicht in Guatemala, die Ausgräber waren Venezolaner, keine Deutschen, und die ausgegrabene Kultur war auch nicht die Maya-Kultur, sondern eine viel ältere Kultur. Es handelte sich auch nicht um eine "nordische" Atlantishypothese, sondern um die Atlantishypothese des Venezolaners Rafael Requena (1879-1946), der hier wohl mit "local people" gemeint war. Die deutsche Filmdokumentation berichtet distanziert von dieser Hypothese und macht sie sich nicht zu eigen. Schließlich berichtet die deutsche Dokumentation davon, dass deutsche Wissenschaftler die langgezogenen Totenschädel auf eine gezielte Verformung im Säuglingsalter zurückführen und damit genau die Erklärung geben, die heute noch gültig ist. Also war auch die Behauptung falsch, dass dieser Frage verdächtig ausgewichen würde, zumindest von Seiten deutscher Wissenschaftler. – Es handelt sich also bei der Filmdokumentation "Auf der Suche nach Atlantis" von 1933 um eine ganz gewöhnliche Filmdokumentation, die eine "normal verrückte", "nicht-nordische" Atlantishypothese aufgreift, und die heutigen Atlantisdokus nicht unähnlich ist. Im Jahr 1937, also mitten im Nationalsozialismus, bezeichnete der deutsche Maya-Forscher Paul Schellhaas die Idee einer Verbindung von Atlantis mit der Maya-Kultur als zusammengefabelte Hypothese von Unberufenen, die sich dem Sensationsbedürfnis amerikanischer Journalisten verdanke. Und damit hat sich wirklich alles, was diese britische Atlantisdoku von 2003 über die deutsche Atlantisdoku von 1933 behauptete, als falsch erwiesen.

Schließlich wird Atlantis auch noch für den Holocaust verantwortlich gemacht: "The lost racially pure homeland of Atlantis became the model for the new Nazi Germany." Dazu werden Bilder von Juden mit Judenstern gezeigt. Und eine Wissenschaftlerin sagt: "That meant removing elements that were not nordic from the population, from the reading population and from the culture, and genocide then becomes an option. So, I think the Atlantis myth plays a role there, quite definitely." Und der Sprecher: "The myth of Atlantis had come full circle. Transformed from the story of an earthly paradise into the ideology behind a genocidal nightmare." – Wir möchten an dieser Stelle wiederholen: Die zentrale pseudowissenschaftliche Idee des Nationalsozialismus war der Biologismus, ein rücksichtsloser Sozialdarwinismus, aber kein Atlantisglaube. Dokumentationen wie diese vermitteln ein völlig falsches Bild vom Nationalsozialismus und den wahren Ursachen seiner Verbrechen. Wer glaubt, dass der Holocaust "wegen Atlantis" stattgefunden hat, ist vollkommen auf dem Holzweg. Es ist geradezu unverantwortlich, solche falschen Behauptungen in die Welt zu setzen.

Bezeichnenderweise schiebt die Doku noch einen bemerkenswerten Gedanken zur Verbindung von Nationalsozialismus und Atlantis nach: Angeblich hätten deutsche Wissenschaftler nach 1945 die Archive von jeder Spur des angeblichen Atlantisglaubens gesäubert, so dass heute kaum noch eine Spur davon zu finden ist. In Wahrheit ist es natürlich so, dass es den behaupteten Atlantisglauben nie gab. Die "Spuren" von Wissenschaftlern, auch von NS-Karrieristen, die sich mitten im Nationalsozialismus gegen (!) die Existenz von Atlantis aussprachen, sind nämlich überdeutlich. Und dann war da auch noch eine Rede von Adolf Hitler, in der sich Hitler über Atlantisgläubige lustig machte ... das Tonband verzeichnete hemmungsloses Gelächter des nationalsozialistischen Publikums über Atlantisgläubige. Aber davon erfährt der Zuschauer dieser Doku nichts.

Vom "Höhepunkt" zum Tiefpunkt

Nach einigen kurzen Worten über Hollywood und Atlantis kommt die Doku auf die Hypothese zu sprechen, dass Atlantis die minoische Kultur war. Diese Hypothese wird äußerst stiefmütterlich behandelt. Die verblüffenden Ähnlichkeiten der minoischen Kultur und der Kultur von Atlantis werden nicht gezeigt. Statt dessen wird behauptet, Akrotiri sei Atlantis gar nicht ähnlich. Außerdem liege Santorini nicht im Atlantik und sei auch nicht 9000 Jahre alt. Hier hat die Niveaulosigkeit dieser Doku einen neuen Tiefpunkt erreicht, der sehr viel über das Denken von Atlantisskeptikern verrät. Statt sich auf eine historisch-kritische Deutung von Platons Text einzulassen, wie man das bei jedem anderen antiken Text auch tut, wird darauf bestanden, dass dieser Text unbedingt wortwörtlich wahr sein muss, oder gar nicht. Das ist kein wissenschaftliches Denken. Das ist im Gegenteil eine völlig irrationale Herangehensweise.

Selbst wenn Platon seinen Text erfunden hätte, müsste man ihn historisch-kritisch deuten. Die 9000 Jahre weisen natürlich auch dann nicht auf die letzte Eiszeit, wenn Platon Atlantis erfunden haben sollte, sondern müssen auf jeden Fall im Rahmen des damaligen allgemeinen Irrens über das Alter Ägyptens von über 11000 Jahren gedeutet werden. Auch wenn Atlantis eine Erfindung sein sollte, ist Atlantis auf einen Zeitpunkt nach der wahren Gründung Ägyptens 3000 v.Chr. zu datieren, denn das war die Absicht Platons, ob Erfindung oder nicht. Aber auf diesem Niveau denken die Macher dieser Doku nicht.

Nach einer Episode mit dem nicht ernst zu nehmenden "schlafenden Propheten" Edgar Cayce, werden schließlich mit Jim Allen und Rand Flem-Ath zwei Altantissucher gezeigt, die Atlantis mithilfe von moderner Technik suchen, aber keine überzeugenden Beweise vorlegen können.

Finale Indoktrinierung: Moralische Warnung und niemals nicht real

Und nachdem der Zuschauer mit völlig verfehlten Informationen über Atlantis bombardiert worden ist, holt diese Atlantis-Doku zum finalen Schlag aus. Jetzt wird nämlich die Frage gestellt, ob man Platons Text überhaupt derart wörtlich nehmen darf? Richard Ellis wird interviewt, und er meint, dass Platon die Sache real aussehen lassen wollte, aber selbst kein Wort davon glaubte: "I don't think that Plato believed a word of it." Nicht ein Wort? Das ist aber radikal ... Die Motivation Platons wäre der tiefe Schmerz gewesen, den der Tod seines Meisters Sokrates in ihm hervorgerufen habe. Platon wollte eine Welt, in der es keine solchen Ungerechtigkeiten mehr gab. Damit wird den Zuschauern dieser Doku Atlantis als ein Täuschungsmythos vorgeführt, mithilfe dessen Platon die Menschen zur Erschaffung einer besseren Welt täuschen wollte. Das ist eine ziemlich steile These.

Noch verwirrender ist aber die Tatsache, dass den Zuschauern erst jetzt, ganz am Ende der Doku, mitgeteilt wird, dass für Platon gar nicht Atlantis der ideale Staat war, sondern Ur-Athen. Man fragt sich ernsthaft, was ein normaldenkender Zuschauer davon wohl hält: Zuerst wird ihm erzählt, Atlantis sei ein irdisches Paradies, und dann ist plötzlich eine ganze andere Stadt die ideale Stadt? Hier wird vollends offenbar, dass die Macher dieser Doku grandios darin versagt haben, den Zuschauern ein halbwegs korrektes Bild von Platons Atlantisgeschichte zu zeichnen. Konsequent fährt die Doku denn auch fort, von Atlantis als dem Mythos vom Goldenen Zeitalter zu reden. Ur-Athen, das gerade noch kurz angesprochen wurde, ist schon wieder vergessen.

Atlantis sei eben so etwas wie eine neue Religion. Eine Suche nach einer besseren Welt, die nie zum Ziel kommt. Und jede Zeit würde Mythen auf ihre Weise interpretieren. So hätten Mythen vom Goldenen Zeitalter schon immer funktioniert, wird den Zuschauern mitgeteilt. Und für alle, die immer noch nicht überzeugt sind, wird nachgeschoben, dass Atlantis, solange es nicht entdeckt ist, nur in unserer Imagination existiert, die zudem ein Maß für unsere Menschlichkeit aber auch für das Fehlen von Menschlichkeit sei. Der Zuschauer wird also mit einer seltsamen moralischen Warnung vor Atlantis und der Aussage aus der Doku entlassen, dass es Atlantis nicht gibt, einerseits ganz gewiss nicht und andererseits auf jeden Fall solange nicht, bis es gefunden wurde – diese "Logik" ist wirklich umwerfend in ihrem Dogmatismus.

Bis der Zuschauer die letzten Verknotungen aus seinen Hirnwindungen entfernt hat, die ihm diese Doku zugefügt hat, ist Baron Münchhausen schon dreimal auf seiner Kanonenkugel davon geflogen. Normalerweise werden solche Atlantisdokus im Laufe weniger Jahre ins Deutsche übersetzt. Diese nicht. Vermutlich deshalb, weil der Unsinn zu dick aufgetragen ist, und speziell der Unfug zum Nationalsozialismus für ein deutsches Publikum zu leicht zu durchschauen ist.

Der Nonsense findet leichtgläubige Zuschauer

Im britischen Guardian erschien eine Besprechung der Dokumentation, die sie in höchsten Tönen lobte: Die Dokumentation "was a fast-paced hour of history and philosophy worthy of any of the more 'highbrow' channels. ... ... ... and it made the rest of the line-up of property shows and holiday shows look like the junk they are." Der Rezensent glaubte also tatsächlich, eine qualitativ hochwertige Dokumentation gesehen zu haben.

Leider glaubte er den ganzen Unsinn von A bis Z. Von kleinen Unstimmigkeiten – "Plato, who heard the myth from Socrates" – bis zum ganz großen Unsinn, dass also Blavatskys Ideen "appealed to Hitler, who devoted enormous energy to archaeological quests and liked to believe that the Aryan race came from outer space, crash-landed on Atlantis and established their superiority to earth's ape-like hominids. This came in handy when he needed to justify genocide." So glaubte es der Rezensent des Guardian, und so werden es erst recht die durchschnittlichen Zuschauer geglaubt haben.

Fazit

Man kann nur den Kopf schütteln, was für ein Unsinn aufgetischt werden kann, wenn es darum geht, Atlantis zur Erfindung zu erklären. Und der Unsinn wird geglaubt, wird von Menschen geglaubt, die sich für gebildet halten! Atlantis scheint wahrhaft ein Prüfstein dafür zu sein, was die Bildung eines Menschen wert ist, und zwar ganz unabhängig davon, ob man pro oder contra Atlantis eingestellt ist.

Jeder Atlantisskeptiker sollte diese Dokumentation zum Anlass nehmen, die Grundlagen seiner eigenen Atlantisskepsis zu überprüfen: Wieviel davon ist wissenschaftlich wirklich belastbar? Und was davon verdankt sich einer dünkelhaften Besserwisserei, die ungehindert ihr Werk verrichten kann? Es ist nicht zu erwarten, dass auch nur ein einziger Atlantisskeptiker durch diese Selbstprüfung zum Atlantisbefürworter würde. Aber es würde mehr Fairness in die Debatte kommen. Und die Atlantisskepsis würde auch selbst von einer solchen Selbstprüfung profitieren, denn sie würde an Glaubwürdigkeit gewinnen.

Exkurs: Seltsame Aussagen von Prof. Bettina Arnold

Die Professorin für Anthropologie und Archäologie Bettina Arnold von der University of Wisconsin macht in dieser Atlantis-Doku einige Aussagen, die fragwürdig erscheinen. Man beachte jedoch: Es ist nicht klar, ob dies auf Arnolds Intentionen zurückzuführen ist oder auf einen fragwürdigen Schnitt des Films, der Arnolds Aussagen in einen irreführenden Kontext stellt. Leider hat Bettina Arnold eine Anfrage dazu nicht beantwortet. Die Botschaft, die den Zuschauern durch diese Aussagen und ihren Kontext vermittelt wird, muss aber so oder so widerlegt werden.

Aussage Nr. 1: (nur in der Langfassung enthalten)

Sprecher: "... Kiss's novels were not meant to be pure phantasy, they were based on ideas which many Germans actually believed to be fact."
Arnold: "Edmund Kiss published a series of novels, at least four that I know of, 'The Glassy Sea', 'The Spring in Atlantis', 'The Last Queen of Atlantis', and then there is a sort of diaspora novel, that talks about the eventual migration to South America, and these seem to be quite popular. Certainly Himmler was a big fan, and Hitler believed that they were a true-to-life, if fictionalized, representation of what actually happened."
Sprecher: "Kiss's Atlantean city closely resembled Plato's ..."

Es stimmt, dass Himmler mehr oder weniger an die von Edmund Kiss aufgestellten Hypothesen (zu denen auch Atlantis gehört) glaubte. Aber von Hitler kann man das nicht behaupten. Es ist allgemein bekannt, dass Hitler die verrückten Ideen von Himmler ablehnte. Für Hitler genügte es zu glauben, dass die Germanen einst aus dem "Norden" kamen (ohne sich mit Atlantis, der Welteislehre oder anderen tieferen Gedanken über den Ursprung der Germanen zu befassen). Wenn es das war, was Arnold mit ihrem rätselhaften Satz "a true-to-life, if fictionalized, representation of what actually happened" sagen wollte, dann ist das richtig – aber das ist sicher nicht die Botschaft, die die Zuschauer dieser Dokumentation mitnehmen. Erst in Hitlers letzten Lebensjahren finden wir eine Äußerung, in der Hitler vorsichtig sagt, dass Hörbigers Welteislehre wahr sein könnte (aber das schließt Atlantis nicht automatisch ein).

Wir haben keine Aussage Hitlers über die Romane von Kiss. Es ist nicht einmal bekannt, ob Hitler jemals einen Roman von Kiss gelesen hat. Bekannt ist, dass Himmler 1937 ein in Leder gebundenes Exemplar von Kiss' Buch "Das Sonnentor von Tihuanaku und Hörbigers Welteislehre" als Weihnachtsgeschenk für Hitler vorbereitete (vgl. Pringle (2006) S. 182, unter Hinweis auf einen Brief von Wolfram Sievers im Bundesarchiv: Sievers an Koehler & Amelang, 09.12.1937, BA, NS 21 / 166). Das bedeutet aber keineswegs, dass Hitler das Buch gelesen hat, geschweige denn, dass er die vorgestellte Theorie befürwortete. In Timothy W. Rybacks Analyse von Hitlers Privatbibliothek, in der er untersucht hat, welche Bücher Hitler gelesen hat und was Hitlers Bleistiftmarkierungen in den Büchern aussagen, ist von Edmund Kiss keine Rede (aber auch nicht von Hanns Hörbiger). Jedenfalls hatte Hitler nur ein Jahr zuvor in einer öffentlichen Rede Atlantisgläubige verspottet.

Sucht man in den wissenschaftlichen Publikationen von Bettina Arnold nach einer ähnlichen Aussage wie in diesem Dokumentarfilm, findet man eine Aussage in Arnold (2002) S. 105, also in einem Artikel, der kurz nach der Doku erschienen ist. Dort schreibt Arnold: "Kiß's novels were avidly read and praised by top Nazi officials, including Hitler (Hermand 1992: 193)." Beim Nachschlagen in ihrer Quelle finden wir auf der angegebenen Seite (hier das deutsche Original S. 237, entsprechend S. 193 in der englischen Ausgabe) nur die folgende Aussage: "... Welteislehre, die bei vielen älteren Völkischen wie auch manchen Nationalsozialisten, darunter Hitler, in hohem Ansehen stand."

Wie man sieht, geht es in dieser Aussage um Hörbigers Welteislehre, nicht um Edmund Kiss. Und es geht nicht um "top Nazi officials", sondern um "viele ältere Völkische". Und dass Hitler Hörbigers Welteislehre "avidly read and praised" habe, oder dass sie bei Hitler "in hohem Ansehen stand", ist zumindest eine große Übertreibung. Wie schon gesagt, gibt es erst in seinen letzten Lebensjahren eine Äußerung Hitlers, in der er vorsichtig sagt, dass Hörbigers Welteislehre wahr sein könnte. (Zudem schließt die Welteislehre Atlantis nicht automatisch mit ein.) Arnolds Quelle sagt selbst am Anfang desselben Kapitels, nur wenige Seiten vorher (S. 228 (dt.) 183 ff. (engl.) ), dass Hitler Himmlers verrückte Ideen nicht mochte.

Aussage Nr. 2:

Sprecher: "... The lost racially pure homeland of Atlantis became the model for the new Nazi Germany."
Arnold: "That meant removing elements that were not nordic from the population, from the reading population and from the culture, and genocide then becomes an option. So, I think the Atlantis myth plays a role there, quite definitely."

Es stimmt, dass die Atlantisgeschichte für Himmler eine gewisse Rolle spielte, auch wenn es nur eine verrückte Idee unter anderen war, aber sie spielte sicherlich keine Rolle für Hitler und auch nicht für "die Nazis" als solche. Dass Atlantis das Modell für Hitlers Deutschland war, ist purer Unfug. Definitiv.

Aussage Nr. 3:

Sprecher: "... The myth of Atlantis had come full circle. Transformed from the story of an earthly paradise into the ideology behind a genocidal nightmare. Most of the Ahnenerbe escaped punishment for their role in the atrocities."
Arnold: "Archaeologists who survived the war seem to have done a pretty effective clean-up job in the archives."
Sprecher: "Atlantis's connection with the Third Reich was forgotten, almost immediately. ..."

Es ist definitiv Unsinn, dass es einen Atlantisglauben "der Nazis" in voller Blüte gegeben habe, der dann durch eine Säuberung der Archive vertuscht worden sei. Die "Spuren" von Nationalsozialisten, die sich gegen (!) die Existenz von Atlantis aussprachen und Atlantisgläubige verspotteten, darunter auch NS-Karriere-Wissenschaftler und sogar Adolf Hitler selbst, sind überdeutlich. "Die Nazis" glaubten nicht an Atlantis. Nur Himmler und ein paar andere taten dies, still und privat. Genauso wenig würden wir "die Kommunisten" als Atlantisgläubige bezeichnen, wenn wir herausfinden würden, dass Trotzki im Stillen an Atlantis glaubte, Lenin und Stalin aber nicht.

Man beachte noch einmal: Es ist nicht klar, ob die falschen Botschaften, die durch diese Aussagen und ihren Kontext vermittelt werden, auf Bettina Arnolds Intentionen oder auf einen fragwürdigen Schnitt des Films zurückzuführen sind.

Links

The Search for Atlantis: The True Story, 2000. Langfassung: Ca. 96 min.
https://www.youtube.com/watch?v=sGS0ex-lKn0

The Search for Atlantis: The True Story. Kurzfassung: Ca. 48 min.
https://www.youtube.com/watch?v=xi0o98wvTYI

Literature

Arnold (2002): Bettina Arnold, Justifying Genocide – The Supporting Role of Archaeology In 'Ethnic Cleansing', in: Alexander L. Hinton (Hrsg.), Annihilating Difference – The anthropology of genocide, University of California Press, Berkeley / Los Angeles / London 2002; S. 95-116.

Franke (2016/2021): Thorwald C. Franke, Kritische Geschichte der Meinungen und Hypothesen zu Platons Atlantis – von der Antike über das Mittelalter bis zur Moderne, 2. Auflage in 2 Bänden, Verlag Books on Demand, Norderstedt 2021. Erstauflage war 2016 in einem Band.

Hermand (1988): Jost Hermand, Der alte Traum vom neuen Reich – Völkische Utopien und Nationalsozialismus, Verlag Athenäum, Frankfurt am Main 1988. Englische Übersetzung: Old Dreams of a New Reich – Volkish Utopias and National Socialism, Indiana University Press, Bloomington 1992.

Pringle (2006): Heather Pringle, The Master Plan – Himmler's Scholars and the Holocaust, Verlag Hyperion, New York 2006.

Smith (2003): Rupert Smith, Fantasy island, in: The Guardian 20.08.2003.
https://www.theguardian.com/media/2003/aug/20/broadcasting.tvandradio1



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