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Der Ultimate Guide zu Platons Atlantis
von David Miano

Leider eine Parade vieler typischer Fehler der Atlantisskepsis

Thorwald C. Franke
© 12. November 2024


David Miano hatte bereits im Juli 2019 ein zweiteiliges Video veröffentlich, das sich gegen die Hypothese wendet, dass die Richat-Struktur in Nordwestafrika Platons Atlantis war. Jetzt hat er das Thema Atlantis noch einmal sehr grundsätzlich aufgegriffen und seine Meinung dazu in einem einstündigen Video ausführlich dargelegt. Dieses Video werden wir hier ausführlich besprechen.

David Miano ist ein sehr guter und sehr gründlicher Wissenschaftler, der fast immer richtig liegt und auch bei Abwägungen fast immer sehr kluge Entscheidungen trifft. Seine Videos sind eine Goldgrube richtiger und wichtiger Einsichten. Ich verweise immer gerne auf seine Videos.

Beim Thema Atlantis ist David Miano allerdings gescheitert. Der Grund dafür ist, dass die aktuelle Wissenschaft zu diesem Thema in einem schlechten Zustand ist und David Miano seine Überlegungen deshalb auf einer schlechten Grundlage aufbauen musste. (Eine kurze Besprechung einiger schwerer Fehler der aktuellen Wissenschaft findet sich in meinem Buch "Kritische Geschichte ..." zu den Autoren Alan Cameron, Pierre Vidal-Naquet und Harold Tarrant S. 210-239.)


David Miano: Der Ultimate Guide zu Platons Atlantis, Youtube 03.11.2024

Erster Fehler: Wende im Plot übergangen

Der Moment, an dem die Analyse von David Miano entgleist und verunglückt ist die Stelle 11:27. Bis zu diesem Punkt hatte David Miano völlig korrekt dargelegt hat, dass Sokrates im Dialog gar keine echt historische Darstellung von den anderen Dialogteilnehmern fordert, sondern eine fiktionale Darstellung vorschlägt, die aufgrund der Kompetenz der anderen Dialogteilnehmer eine höhere und innere Wahrheit enthält, aber nicht wirklich historisch wahr ist.

David Miano tut etwas, was viele Atlantisskeptiker tun: Sie unterschlagen eine entscheidende Wende im Plot des Dialoges! Denn an dieser Stelle schlägt Kritias entgegen (!) dem Wunsch des Sokrates vor, dass er etwas besseres (!) anzubieten hat als eine bloße Erfindung: Eine echt historische Geschichte, die dem Wunsch nahekommt.

Statt dessen stellt David Miano die Geschichte des Kritias als eine Erfüllung des Wunsches nach einer Fiktion vor. Es wird zwar etwas später nachgeschoben, dass diese Geschichte keine Fiktion sein soll (13:16 ff.), aber so wie David Miano es präsentiert, klingt die Aussage, dass es keine Fiktion ist, nur noch hohl: Die klare Wende im Plot wurde übergangen, so dass der völlig falsche Eindruck entsteht, als ob die Geschichte des Kritias eine direkte Entsprechung zum Wunsch des Sokrates nach einer Fiktion wäre. Das kann man so nicht machen.

Außerdem führt David Miano die Atlantisgeschichte an dieser Stelle (11:27) mit der schrecklich fehlerhaften Übersetzung von Robert Gregg Bury ein: "Listen then, Socrates, to a tale which, though passing strange, is yet wholly true". – Doch es ist kein "tale", sondern ein logos. Dieses Wort darf man nur dann ausnahmsweise mit "tale" übersetzen, wenn der Kontext völlig klar macht, dass es so zu verstehen ist. Doch das ist nicht der Fall. Im Gegenteil. Der Dialog setzt diesen logos sogar explizit als Gegensatz zu mythos. – Und Kritias sagt auch nicht, dass die Geschichte "wholly true" ist, sondern "in jeder Hinsicht wahr". Ein großer Unterschied! Mit dieser Redewendung ist sowohl die höhere als auch die historische Wahrheit gemeint, beides zugleich, wie Proklos später richtig erkannte.

Zweiter Fehler: Überlieferung und Kritias' Darstellung nicht unterschieden

Der zweite zentrale Irrtum von David Miano besteht darin, dass er nicht erkannt hat, dass die Überlieferung aus Ägypten, die als historisch wahr dargestellt wird, nicht identisch ist mit der Geschichte, die Kritias dann auf der Basis dieser Überlieferung produziert. Das "wahr in jeder Hinsicht" bezieht sich auf die Überlieferung aus Ägypten. David Miano hat richtig erkannt, dass die Einrichtungen des Ur-Athen aus der ägyptischen Überlieferung nicht (!) identisch sind mit dem Idealstaat, sondern nur "closely resemble" (13:03; 13:09). Eine sehr wichtige Beobachtung.

Das ist der Grund, warum Kritias später ankündigt, dass er den Idealstaat in die historische Überlieferung hineinverpflanzen werde, um so eine Darlegung mit dem hundertprozentigen Idealstaat zu geben, wie David Miano richtig beobachtet hat (27:44 ff.). David Miano irrt jedoch, wenn er schließt: "In other words, I am going to make it real by making it about a real city." Es ist genau umgekehrt. Der Idealstaat wird in eine reale Überlieferung eingesetzt, die dem Idealstaat bereits nahe kommt. Kritias trifft die Annahme, dass der fast-ideale Staat tatsächlich der ideale Staat war. Richtig ist, dass "the wording suggests a certain amount of fabrication", oh ja, aber anders, als David Miano denkt. Und es geht dabei um Ur-Athen, nicht um Atlantis.

Es ist deshalb auch ganz falsch, wenn David Miano meint, ein "most straightforward reading" und eine "view ... that it takes the dialogue's characters at their word" würde bedeuten, eine völlige historische Wahrheit anzunehmen (29:04 ff.) – Doch es gibt schlicht kein "straightforward reading", weder rein fiktional noch rein historisch, und das ist auch der Grund, warum Atlantis uns seit 2500 Jahren beschäftigt.

Dritter Fehler: Die 9000 Jahre nicht im historischen Kontext erklärt

David Miano nimmt die 9000 Jahre von Atlantis durchgehend wörtlich und interpretiert sie nicht in der Weise, wie sie interpretiert werden müssen. Er kommt dreimal auf das Thema zu sprechen und versäumt jedesmal zu tun, was getan werden muss (14:43, 26:53, 30:45).

Es muss folgendes erklärt werden: Die alten Griechen glaubten irrigerweise, dass Ägypten 10.000 Jahre alt und älter ist. Deshalb müssen die 9000 Jahre von Atlantis vor dem Hintergrund dieses Irrtums gedeutet werden. Da der legendäre erste Pharao Menes nicht 11,000+ Jahre vor Platon lebte, wie man damals glaubte, sondern ungefähr auf das Jahr 3000 v.Chr. datiert werden muss, muss auch die Angabe eines Alters von 9000 Jahren entsprechend gedeutet werden. Das bedeutet, dass die 9000 Jahre analog "geschrumpft" werden müssen. – Ein Datum von 9000 Jahren war für Platon kein Datum "vor aller Zeit", sondern ein Datum mitten in der ägyptischen Geschichte. Das gilt auch dann noch, wenn Platon die Atlantisgeschichte von A bis Z erfunden haben sollte.

Um diese Erkenntnis darf sich niemand herummogeln. Einige Wissenschaftler haben dies verstanden, einer der ersten war Alfred E. Taylor. Es sind aber leider nur wenige. Die meisten benutzen die 9000 Jahre immer noch als Fiktionssignal. Wie wenn Platon auf die Steinzeit verwiesen hätte. So einfach geht es aber nicht.

Es ist deshalb nicht hinreichend, wenn David Miano sagt, dass es um 9600 v.Chr. noch kein Athen gab (30:45). Das stimmt natürlich, aber dabei darf man nicht stehenbleiben. Daran hätte sich die obige Deutung zwingend anschließen müssen. (Abgesehen davon, ob die ägyptische Überlieferung wirklich auf Athen verweist und nicht auf Mykene, das in früherer Zeit der führende Ort Griechenlands war.)

Die Anerkennung der historisch-kritischen Deutung der 9000 Jahre von Atlantis ist auch von zentraler Bedeutung für die Bekämpfung von Pseudowissenschaft. Denn die Pseudowissenschaft nimmt die 9000 Jahre von Atlantis wörtlich und phantasiert von einer entwickelten Kultur in der Steinzeit. Würde man die richtige Deutung der 9000 Jahre mehr propagieren, würde man aus 90% der Pseudowissenschaft die Luft herauslassen können. Graham Hancock würde mit leeren Händen dastehen.

Allerdings würde sich dann die Frage nach der Realität von Atlantis ganz anders stellen als zuvor. Es wäre dann nicht mehr so leicht, Atlantis als puren Nonsens abzutun. Manchmal hat man das Gefühl, gewisse Wissenschaftler bestätigen Pseudowissenschaftler ganz bewusst in deren falschen Deutung der 9000 Jahre von Atlantis, um es sich einfach zu machen.

Man beachte, dass eine historisch-kritische Deutung der 9000 Jahre kein "dividing by ten" ist. Es ist ein Vergleich von Irrtum und Realität.

Vierter Fehler: Platon nicht verstanden

Platon nicht richtig verstanden zu haben ist keine Schande. Ich befasse mich nun seit über 20 Jahren mit Platon und habe gesehen, dass ich immer wieder falsche Vorstellungen über Bord werfen musste. Das ist ganz normal und geht jedem so, der sich mit länger mit Platon beschäftigt.

Ein zentraler Irrtum von David Miano ist, dass er Platons Idealstaat für eine "invention" (31:12) und ein "utopia" (14:56) hält, das utopische Eigenschaften hat (23:05). Doch das ist falsch. Für Platon ist der Idealstaat keine Erfindung, sondern eine Deduktion. Eine Deduktion aus den Prinzipien der Realität selbst. Deshalb schreibt Platon auch in der Politeia, dass es den Idealstaat in der Vergangenheit schon einmal gab, dass es ihn in einem fernen Land vielleicht jetzt gerade gibt, und auch in Zukunft wieder geben wird (Politeia VI 499cd). Deshalb muss es auch nicht seltsam erscheinen, wenn Platon von einer historischen Überlieferung spricht, die nahe an den Idealstaat herankommt. Platon glaubte das wirklich.

Richtig beobachtet hat David Miano, dass es Beziehungen zwischen der Kosmologie des Timaios und Platons Atlantisgeschichte gibt (19:08, 19:43). Aber das ist praktisch das Gegenteil eines Fiktionssignal. Es geht Platon um die Realität. Aus dieser Realität hat Platon den Idealstaat deduziert. Was für uns utopisch und phantastisch klingt, war für Platon ein absolut erreichbares Ideal. Einschließlich der physischen Schönheit der Bewohner des Idealstaates. Erst in seinem letzten Werk hat Platon begonnen, umzudenken.

Es ist auch falsch, dass für Platon die Dichtkunst im Widerspruch zur Wahrhaftigkeit stünde. Im Gegenteil. Für Platon müssen wahre Dichter wahr dichten. Und zwar wenn möglich völlig wahr, nicht nur in einem höheren Sinn wahr. Wenn Timaios also ein "Dichter" genannt wird oder die Musen angerufen werden, dann ist das kein Fiktionssignal, wie David Miano meint (25:24 ff.). Wie David Miano richtig beobachtet hat, wird auch die Mutter der Musen, Mnemosyne, die Erinnerung, angerufen: Es ist ein klares Realitätssignal, also das Gegenteil eines Fiktionssignals.

Bei der Erwähnung der Tatsache, dass die Überlieferungen der Athener sagen, dass Athen viel später entstand, als Platons 9000 Jahre sagen (30:53) und auch später bei der Besprechung der Rezeptionsgeschichte (siehe unten) wird deutlich, dass David Miano nicht verstanden hat, dass Platon von einem zyklischen Katastrophismus ausgeht: Das Athen von vor 9000 Jahren ist längst in einer Katastrophe untergegangen, während das Athen seiner eigenen Zeit natürlich viel jünger ist. So stellte es sich Platon vor. Es ist wichtig, das zu verstehen, um keine Fehlschlüsse zu ziehen.

Fünfter Fehler: Atlantis als Mythos behandelt

Obwohl Platons Atlantisgeschichte explizit als ein logos im Gegensatz zu einem mythos dargestellt wird, die auf einer schriftlichen (!) Überlieferung aus Ägypten beruht, unterläuft es David Miano immer wieder, dass er die Atlantisgeschichte wie einen vagen Mythos behandelt. So stellt er die Atlantisgeschichte z.B. in eine Reihe mit einigen Geschichten in Platons Werken, die klar als mythos gekennzeichnet sind (38:16). Selbst der Kategorien-Titel des Videos lautet "Myths of Ancient History".

Das ist aber unzulässig, denn Platon schreibt explizit, dass die Atlantisgeschichte kein mythos ist. (Ganz abgesehen von der Frage, ob ein mythos im Sinne Platons ein Mythos ist, wie wir das heute verstehen.)

Auch bei der Behandlung von Diodorus Siculus am Ende des Videos wird deutlich, dass David Miano die Atlantisgeschichte als einen vagen Mythos ansieht und wie einen Mythos behandeln möchte (50:54 ff.). Aber das ist ganz falsch. Selbst wenn Platon alles erfunden hätte, wäre es immer noch kein Mythos.

Sechster Fehler: Kritias als borniert

David Miano macht kein großes Argument daraus, aber er kommt wiederholt auf die These zu sprechen, dass Kritias vielleicht nicht die Meinung des Sokrates bzw. des Platon wiedergibt, sondern vielleicht als borniert anzusehen ist und seine Darstellung deshalb falsch und unsinnig sein könnte (14:37, 29:47). Wie in anderen Dialogen hätten die Dialogteilnehmer differierende Meinungen, meint David Miano (2:17).

Das ist aber eine ganz falsche Deutung, die leider einen Teil der aktuellen Wissenschaft befallen hat. Anders als bei anderen Dialogen werden im Timaios-Kritias alle Dialogteilnehmer als vollwertige Philosophen angesehen. Ihr Wort gilt. Und es wird von allen anderen Dialogteilnehmern akzeptiert. Das war lange Zeit die traditionelle Meinung in der Wissenschaft, und diese Meinung wird auch heute noch von vielen Forschern geteilt.

Übrigens glauben jene Wissenschaftler, die Kritias für borniert halten, dass es der Tyrann Kritias ist. Das aber hat David Miano richtig erkannt, dass es nicht der Tyrann ist, siehe unten.

Siebter Fehler: Ein Patchwork aus 1000 Puzzleteilen

Die aktuelle Wissenschaft glaubt nicht an eine historische Überlieferung und sucht deshalb überall in antiken Texten nach möglichen Vorlagen, aus denen Platon die Atlantisgeschichte zusammengesetzt haben könnte. Dabei verliert sich die Wissenschaft in tausend Einzelheiten, und am Ende ist gar kein Sinn mehr hinter diesem 1000-Teile-Puzzle erkennbar. Es ist so, wie wenn man die Existenz von New York bestreiten würde und statt dessen in allen europäischen Hauptstädten nach Vorlagen suchen würde, aus denen eine "erfundene" Beschreibung von New York zusammengesetzt ist.

Ein solches Puzzle-Spiel ist möglich, aber es eröffnet mehr Fragen als es Antworten gibt. Warum sollte Platon ein solches irres Puzzle-Spiel betrieben haben, mit vielen Teilen, die gar keinen Sinn ergeben? Es erfüllt einfach nicht die Regel von Occams Rasiermesser: Dass einfache Erklärungen zu bevorzugen sind. Für viele Teile gibt es überhaupt keine Erklärung. Die Wissenschaft flüchtet sich in die "Erklärung", dass Platon von der Lust zu Fabulieren überwältigt worden sei.

Auch David Miano versucht sich an diesem Puzzle-Spiel und nennt untergehende Inseln, Götterstrafen, unpassierbaren Schlamm, die Flut von Deukalion, den Titanen Atlas, das Werk des Hellanikos, die Halbinsel Atalante, den Untergang von Helike, und vieles andere mehr. Aber eigentlich erkennt David Miano bereits selbst, dass das Puzzle-Spiel nicht funktioniert. Beim Titan Atlas erkennt David Miano mit Recht, dass der König von Atlantis gar nicht der Titan ist (34:59). Bei Helike sieht er eine Analogie in dem Untergang in einer Nacht, aber Atlantis ist nicht in einer Nacht untergegangen, sondern an einem Tag und einer Nacht (50:04).

Achter Fehler: Als typische Moralgeschichte gedeutet

Bei David Miano ist die Atlantisgeschichte eine ganz gewöhnliche Moralgeschichte: Die Atlanter werden erst reich und dekadent, dann moralisch korrupt, und dann bestrafen die Götter Atlantis. Doch diese Rechnung geht hinten und vorne nicht auf.

Zunächst lässt David Miano konsequent unerwähnt, warum die Könige von Atlantis dekadent werden (z.B. 22:53). Es ist nicht ihr Reichtum. Sondern es ist das Schwinden des göttlichen Anteils in ihrem Blut durch die Vermischung mit Sterblichen von Generation zu Generation. – Und David Miano liegt auch falsch, wenn er meint, nur die Krieger von Ur-Athen wären untergegangen, vielleicht mit Atlantis, nicht aber Ur-Athen (18:05). Denn erstens heißt es, dass diese Krieger "bei Euch" (par' hymin) untergingen, also nicht mit Atlantis, zweitens hat die überwältigende Mehrheit der Interpreten den Untergang der Krieger schon immer als pars pro toto gedeutet: Mit den Kriegern ging natürlich auch Ur-Athen unter, und nur ungebildete Hirten überlebten, ganz im Sinne von Platons zyklischem Katastrophismus.

Natürlich ist es richtig, dass die Atlantisgeschichte bestimmte Lehren transportieren will, es ist aber gewiss keine gewöhnliche Moralgeschichte. Wilhelm Brandenburg hatte diesen Punkt 1951 am deutlichsten herausgearbeitet.

Neunter Fehler: Die Seevölker nicht erwähnt

Es geschieht immer wieder, dass Atlantisskeptiker die Frage nach möglichen Ähnlichkeiten in der ägytischen Geschichte glatt verneinen und dabei die Zeit der Seevölker völlig unerwähnt lassen. Es ist zwar völlig erlaubt, eine Analogie der Seevölker zu Atlantis abzulehnen, aber diesen Punkt noch nicht einmal zu erwähnen, das ist nicht erlaubt. Dafür ist diese Analogie zu gut.

David Miano erwähnt leider nur den Tempel von Edfu als möglicher Analogie (31:58 ff.), aber hier hat David Miano völlig Recht: Der Tempel von Edfu ist keine gute Analogie.

Zehnter Fehler: Völlig falsche Idee von der Rezeptionsgeschichte

Weil David Miano der aktuellen Wissenschaft vertraut, hat er ein völlig falsches Bild von der Rezeptionsgeschichte von Platons Atlantis. David Miano glaubt, dass anfangs niemand Atlantis für real hielt, und erst später in der Römerzeit manche damit anfingen, Atlantis für real zu halten (40:09). In Wahrheit war es genau umgekehrt, wie ich in meinem 2016 erschienenen Buch "Kritische Geschichte ..." zeigen konnte.

Falsch ist auch die Annahme von David Miano, dass bis Proklos keiner Atlantis für real hielt (43:36). Es gibt neben den Autoren, die David Miano nennt, eine Liste von weiteren Autoren, die Atlantis als realen Ort behandeln, die David Miano unerwähnt lässt (vermutlich kennt David Miano diese Autoren gar nicht, denn sie finden sich allenfalls in Fußnoten der wissenschaftlichen Literatur zum Thema Atlantis, gut versteckt vor dem Auge der Öffentlichkeit):

Folgende von David Miano nicht erwähnten Autoren treffen zwar keine explizite Aussage zu Platons Atlantis, aber das, was sie sagen, legt doch sehr, sehr nahe, dass sie Atlantis für real hielten. Diese Autoren akzeptieren z.B. den zyklischen Katastrophismus Platons und sprechen von Wissen über die Vorzeit, das Solon aus Ägypten mitbrachte, erwähnen Atlantis dabei aber nicht explizit.

Der erste Atlantisskeptiker, der mit Namen bekannt ist, trat erst 500 Jahre nach Platon auf: Es war Numenios von Apameia, um 150 n.Chr.. Das war zu derselben Zeit, als die literarische Form des griechischen Romans mit seinen literarischen Eigenheiten entstand. Seit damals wird die Atlantisgeschichte immer wieder wie ein Roman gelesen, was falsch ist. Denn als Platon die Atlantisgeschichte schrieb, gab es diese literarische Form mit ihren typischen literarischen Eigenheiten noch nicht.

Und dann war da noch jener verbohrte christliche Fundamentalist Kosmas Indikopleustes (um 550 n.Chr.), der an eine flache Erde glaubte. Seiner Meinung nach war es ganz falsch, dass all diese ekelhaft gottlosen Griechen an die Existenz von Atlantis glaubten (Platon, Aristoteles, Proklos werden namentlich genannt). Irgendwelche Atlantis-Skeptiker zur Unterstützung seiner Atlantisskepsis vermag Kosmas aber nicht zu nennen. Offenbar kannte er keine Atlantis-skeptischen Autoren. Es gab ja auch nicht viele davon. Die Mehrheit der antiken Autoren, sofern sie eine Meinung hatten, hielt Atlantis für mehr oder weniger real.

Rezeptionsgeschichte: Aristoteles

David Miano folgt immer noch einem Irrtum, der nachweislich erst am Anfang des 19. Jahrhunderts in die Welt kam: Dass nämlich eine Stelle bei Strabon ein Zitat von Aristoteles wäre, das sich gegen die Existenz von Atlantis richtet. Dieser Irrtum wurde 2010 mit meinem Buch "Aristoteles und Atlantis" aufgeklärt. Seitdem haben einige Wissenschaftler umgedacht und vermuten z.B. Eratosthenes als Urheber des Zitats. Oder sie lassen die Behauptung, dass Aristoteles der Autor des Zitats wäre, einfach stillschweigend fallen. Andere versuchen ihre These mit unhaltbaren Argumenten zu stützen.

Es geht um dieses Strabon-Stelle, das angebliche Zitat von Aristoteles ist unterstrichen:

"Dass hingegen die Erde einst angehoben worden ist und sich gesenkt und die durch Erdbeben und alle die übrigen ähnlichen Vorgänge ... verursachten Veränderungen erlitten hat, das steht richtig bei ihm [bei Poseidonios]. Dazu zitiert er auch gut Platons Meinung, dass möglicherweise auch die Geschichte von der Insel Atlantis keine Erfindung ist, der Insel, von der jener sagt, Solon habe berichtet, die ägyptischen Priester hätten ihm erzählt, dass sie einst existiert habe und dann verschwunden sei, obwohl sie an Größe einem Kontinent nicht nachstand. Und dies, meint er [Poseidonios], könne man besser behaupten, als dass ihr Erfinder sie habe verschwinden lassen wie der Dichter die Mauer der Achäer."
(Strabon II 102 oder 2.3.6; Übersetzung Stefan Radt)

Die Aussage über die Erfindung der Mauer der Achäer (nicht über Atlantis) ist ein bekannter Kommentar von Aristoteles zu Homer. Aber die Verwendung dieser Aussage des Aristoteles, um damit einen Vergleich zur Erfindung von Atlantis zu ziehen, stammt von .... einem unbekannten Atlantisskeptiker. Denn der, der diesen Vergleich zieht, wird in der Strabon-Stelle nicht genannt. Nichts deutet darauf hin, dass der Unbekannte, der ein bekanntes Wort des Aristoteles benutzt, Aristoteles ist. Es könnte jeder beliebige Gebildete der damaligen Zeit sein!

Es spricht sogar eine Menge dagegen, dass der Unbekannte Aristoteles ist. So nennt Strabon den Namen des Aristoteles eigentlich immer, wenn er dessen Meinung zitiert, sowohl zustimmend als auch ablehnend. Hier aber nicht. – Hinzu kommt, dass Theophrast, der Schüler und direkte Nachfolger des Aristoteles, eine Aussage zugunsten der Existenz von Atlantis gemacht hat. – Aristoteles schweigt zwar ansonsten zu Atlantis, doch gibt es viele Aussagen bei ihm, die Teilaspekte der Atlantisgeschichte bestätigen. Deshalb wurde Aristoteles z.B. von Proklos zitiert, um plausibel zu machen, dass die Atlantisgeschichte eine reale Geschichte sein könnte. – Proklos nennt die Atlantisskeptiker übrigens tines, also "gewisse Leute": So würde man kaum über Aristoteles sprechen. – Aber alle diese Argumente werden bei David Miano nicht genannt.

David Miano versucht, die irrige Behauptung mit einem seltsamen Argument zu retten. Er meint, die Aussagen zur Mauer der Achäer und zu Atlantis würden einfach zusammengehören, und "single authorship for the sentence seems to be the most obvious way to take it." (48:42) Das ist natürlich kein wirkliches Argument. Zumal David Miano selbst auf die Stelle in Strabon hinweist, wo die Aussage des Aristoteles über die Mauer der Achäer zusammen mit der Autorschaft des Aristoteles genannt wird – aber hier steht die Aussage über die Mauer der Achäer allein (!), und nicht zusammen mit einer Aussage über Atlantis. – Auch die Tatsache, dass die Meinung, hier läge ein Zitat des Aristoteles vor, auf einen Irrtum am Anfang des 19. Jahrhunderts zurückgeht, bleibt bei David Miano unerwähnt.

Diese Stelle des Videos ist auch diejenige, an der David Miano besonders oft und besonders deutlich von dem von ihm bereitgestellten Transkript des Videos abweicht: Er war sich seiner Sache sichtlich unsicher. Zumal er mehrfach von "seems" und "I think" spricht. – Man kann jedem nur raten, mein Buch "Aristoteles und Atlantis" selbst zur Hand zu nehmen und sich selbst ein Bild zu machen.

Übrigens erwähnt Aristoteles auch den Schlamm vor den Säulen des Herakles, den der Untergang von Atlantis angeblich zurückgelassen hat, ohne allerdings Atlantis zu erwähnen. David Miano sieht in diesem Schlamm ein Fiktionssignal (33:44, 23:36). Denn natürlich existiert dieser Schlamm nicht. – Doch für die Menschen damals war dieser Schlamm real. Dieser Schlamm ist keine Erfindung von Platon. – Mehr noch: Aristoteles erwähnt diesen Schlamm in einem Buch über alle möglichen geologischen Phänomene wie Erdbeben, Fluten usw. Man hätte erwarten können, dass Aristoteles in einem solchen Buch einen Grund für die Existenz dieses Schlammes angibt. Aber es geschieht nicht. Auf diese Weise musste jeder Leser des Aristoteles automatisch an den einzigen Grund für die Existenz dieses Schlammes denken, den es in der ganzen antiken Literatur gibt: Und das ist Atlantis. Denn niemand nennt einen anderen Grund für die Existenz dieses Schlammes. Aristoteles muss das so gewollt haben, sonst hätte er einen alternativen Grund für diesen Schlamm angegeben. Das ist zwar kein Beweis, aber eines von vielen starken Indizien dafür, dass Aristoteles ebenfalls an die Realität von Atlantis glaubte oder zumindest Sympathien für die Existenz hatte, so wie wir es später bei Poseidonios sehen, der sich in seinen geologischen Überlegungen eng an Aristoteles orientierte.

Rezeptionsgeschichte: Attische Geschichtsschreiber und Redner

David Miano stellt fest, dass die attischen Geschichtsschreiber und Redner, die die Geschichte Athens im Detail behandeln, nicht von Atlantis sprechen (38:41, 39:30). Aber: Diese Historiker und Redner bezogen sich alle auf das Athen, das – im Sinne Platons – nach der letzten Flutkatastrophe entstand. Es ist möglich, dass sie Platons Theorie des zyklischen Katastrophismus ablehnten. Es ist aber auch möglich, dass sie es einfach deshalb nicht erwähnten, weil sie nur über ihr Zeitalter schrieben. Schweigen heißt hier nicht unbedingt Ablehnung.

David Miano selbst erwähnt bei Diodorus Siculus, dass Diodor verschiedene Historiker kritisierte, weil sie diverse Mythen nicht in ihre Werke aufnahmen (56:12). Atlantis war für Platon und seine Anhänger natürlich kein Mythos, aber aus Sicht dieser Historiker vielleicht doch zu mythisch, um es aufzunehmen?

Man könnte aber auch ein gegenteiliges Beispiel bringen: Der Grammatiker und Schriftsteller Apollodoros von Athen (ca. 180-120 v.Chr.) zählte in einem seiner Werke alle ihm bekannten Phantasiegeschichten auf (Strabon VII 299 bzw. 7.3.6). Und tatsächlich werden alle bekannten Phantasieländer genannt, z.B. die Meropis des Theopompos oder die Insel Panchaia des Euhemeros und manche andere. Doch eine Geschichte fehlt in der Liste: Atlantis. Offenbar hielt Apollodoros von Athen die Atlantisgeschichte mehr oder weniger für real. Sonst hätte sie in dieser Liste auf keinen Fall gefehlt.

Rezeptionsgeschichte: Krantor

Zu Krantor folgt David Miano leider einem Irrtum von Alan Cameron, der eine Stelle bei Proklos falsch übersetzte und auf diesen Irrtum die gesamte These eines Artikels in The Classical Quarterly aufbaute (der Artikel ist Schrott von A bis Z und hätte niemals durch einen Peer Review durchkommen dürfen). Inzwischen haben mehrere Wissenschaftler den Irrtum von Alan Cameron entdeckt und benannt. Es geht um diese Stelle in meiner eigenen Übersetzung (Nebenbemerkung: Die Übersetzung, die David Miano benutzt, ist fragwürdig):

"Einige sagen, dass jene Erzählung [logos] über alles, was mit den Atlantern zusammenhängt, reine Geschichte [historia psile] sei, wie (z.B.) der erste Kommentator Platons, Krantor. Dieser [Krantor] sagt nun, dass er [Platon] von den Damaligen verspottet worden sei, weil er nicht der Schöpfer (seiner) Politeia sei, sondern (nur) der Umschreiber der (Staatsordnung) der Ägypter. Er [Platon] habe sich aus diesem (Wider-)wort der Spötter aber (so viel) gemacht, dass er [Platon] jene Geschichte [historia] über die Athener und Atlanter auf die Ägypter zurückführte, dass die Athener einst gemäß dieser Politeia gelebt hätten. Es bezeugen dies aber die Priester [prophetai] der Ägypter, sagt er [Krantor!], indem sie sagen, dass dies auf noch existierenden Stelen [stelai] geschrieben stünde."
(Proklos In Timaeum 24A f. oder I 1,75 f.; Übersetzung Thorwald C. Franke)

David Miano glaubt, dass das "er" am Ende nicht Krantor bezeichnen würde, sondern dass die Grammatik zeigen würde, dass es Platon bezeichnet. Doch das ist falsch. Das Gegenteil ist der Fall. Die Grammtik zeigt klar, dass mit diesem "er" Krantor gemeint ist. Es ist ein Tempus-Wechsel von indirekter Rede im Aorist (Platon) zurück zu direkter Rede im Präsens (Krantor). Mehrere Wissenschaftler haben mittlerweile ebenfalls diese Auffassung geäußert, mit unterschiedlichen Argumenten:

Damit haben wir mit Krantor einen antiken Autor, der unabhängig von Platon behauptet, dass die Atlantisgeschichte auf Ägypten zurückgeht. Ob das stimmt, wissen wir natürlich nicht. Wer weiß, was Krantor in Ägypten gesehen hat. Aber die Aussage des Krantor ist klar. Und der Timaios-Kommentar des Krantor entfaltete große Wirkung für alle späteren Platonisten.

Rezeptionsgeschichte: Poseidonios

Poseidonios ist der einzige antike Autor, den David Miano korrekt eingeschätzt hat (43:54). Poseidonios wusste nicht, ob Atlantis real war, aber er bevorzugte offenbar die Möglichkeit der Realität von Atlantis gegenüber dem Zweifel. Das kommt an der oben genannten Strabon-Stelle zum Ausdruck.

Rezeptionsgeschichte: Strabon

Strabon schließt sich ganz einfach der Meinung des Poseidonios an, siehe die Strabon-Stelle oben ("Dazu zitiert er auch gut Platons Meinung ..."). Dennoch sagt David Miano von ihm, dass er "leaned towards skepticism" (48:53). Das ist höchst seltsam, denn von Poseidonios kann man nicht sagen: "leaned towards skepticism", wie David Miano korrekt erkannt hat. Also auch nicht von Strabon.

Meine Recherchen haben ergeben, dass die Wissenschaft in dieser Frage geteilt ist. Diejenigen, die Strabon als Skeptiker deuten, wollen Ironie erkennen. Das ist aber sehr fragwürdig. Mit der Unterstellung von Ironie kann man alles und nichts zeigen. Insbesondere, wenn man mit dem Vorurteil unterwegs ist, dass Atlantis nur eine Erfindung sein kann, ist man versucht, alles, was nicht ins Schema passt, als Ironie zu deuten. Das ist gefährlich!

Rezeptionsgeschichte: Plutarch

David Miano meint, Plutarch würde nur den Ägyptenaufenthalt des Solon für wahr halten, aber keine Aussage dazu machen, ob die Atlantisgeschichte wahr ist (1:01:22). Das ist falsch. Plutarch sagt explizit, dass er die Atlantisgeschichte für eine Mischung aus Realität und Fiktion hält. Damit glaubt Plutarch im Kern an eine Überlieferung aus Ägypten und auch an ein reales Atlantis, das allerdings von Platon mehr oder weniger ausgeschmückt wurde.

Rezeptionsgeschichte: Diodor

David Miano behauptet, dass Diodorus Siculus "is clearly drawing from Plato" (52:25). Doch das ist falsch. Erstens bezieht Diodor sein "Wissen" von "Atlantioi" (so heißen sie bei Diodor) nicht von Platon sondern von Dionysios Skytobrachion. Zweitens besteht dieses "Wissen" vollständig aus Elementen klassischer Mythen, wie dem Titan Atlas, den Hesperiden, den Amazonen usw., während kein einziges typisches Element der Atlantisgeschichte auftaucht. Diodors "Atlantioi" dürften am ehesten auf Herodots "Atlantes" zurückgehen, denn sie siedeln in derselben Gegend in Nordwestafrika. Diodor bezieht sich hier ganz klar nicht auf Platons Atlantis.

Rezeptionsgeschichte: Proklos

Auch die Meinung des Proklos hat David Miano falsch wiedergegeben. David Miano meint, dass Proklos glaubte "that the Story is neither pure myth nor literal history" (43:24). In Wahrheit war es ganz anders: Proklos glaubte, dass die Geschichte sowohl symbolisch-allegorisch als auch historisch ist: Beides zugleich! Oder "in jeder Hinsicht wahr", wie Platon von der Überlieferung aus Ägypten sagte. Das ist übrigens die in der Wissenschaft vorherrschende Meinung über die Meinung des Proklos.

Weitere Irrtümer

David Miano behauptet, dass es in Platons Politeia einen Teil gäbe, der den Idealstaat in Aktion zeigt. Dieser Teil der Politeia sei erst nach der Abfassung des Timaios-Kritias an die Politeia angefügt worden. (7:49, 8:00). Davon habe ich noch nie gehört. Und ich habe viel gelesen. Ich glaube nicht daran. In der Politeia wird alles nur theoretisch beschrieben.

Eine Stelle aus der Politeia wird falsch angegeben und schlecht übersetzt (10:07):
Socrates In the ‘constructions of stories' which we were talking about just now, since we do not know the truth about the ancient events, we liken the story to the truth as much as possible, in this way making it useful'. (Rep. 381c1-d3)
Es ist natürlich 382cd, nicht 381cd. Die Übersetzung mit "constructions of stories" ist völlig falsch. Im Original steht dort "mythologiais", also "mythische Reden". – Die Deutung, die David Miano von dieser Stelle gibt, ist aber grundsätzlich korrekt. Man könnte noch darauf hinweisen, dass der Versuch, sich der Wahrheit so gut wie möglich anzunähern, genau das ist, was Wissenschaft tut. Es geht also in keinem Fall um willkürliches Erfinden ins Blaue hinein. Wer die Stelle so lesen würde, hätte Platon nicht verstanden.

An einer Stelle behauptet David Miano, dass den Griechen die Atlantisgeschichte nur durch Mythen bekannt sei (12:49). Das ist falsch. Die Atlantisgeschichte ist den Griechen laut Platon völlig verloren gegangen und alles Wissen darüber kann nur aus Ägypten kommen. – Es ist richtig, wenn David Miano an anderer Stelle sagt, dass Platon von der minoischen Eruption auf Thera wohl kaum etwas wusste (50:46). Aber das ist die falsche Frage. Denn die Atlantisgeschichte kam ja angeblich aus Ägypten. Und auf diesem Weg könnte Platon eben doch etwas davon erfahren haben. Theoretisch.

An einer Stelle zitiert David Miano Platons Kritias falsch (im Transkript sind Anführungszeichen und im Video deutet David Miano Anführungszeichen mit den Fingern an): The island, which was located at "a distant point in the Atlantic Ocean" (20:34). Eine solche Aussage gibt es in Platons Atlantisdialogen nicht. Auch das Wort "Okeanos" kommt nicht vor. Platon spricht von "thalassa", also von Meer im allgemeinen. Und die Insel Atlantis muss natürlich – in den Augen Platons – direkt vor der Straße von Gibraltar gelegen haben, denn sonst hätte der Schlamm, den der Untergang der Insel hervorbrachte, die Ausfahrt in das Atlantische Meer nicht behindern können.

David Miano sagt, dass die Könige von Atlantis "every five or six years" zusammenkamen (21:41). Wirklich? "In jedem fünften und sechsten Jahr" bedeutet: Alle vier bzw. fünf Jahre. Auch das ein sehr verbreiteter Fehler.

David Miano spricht von "walls made of precious metals" (22:20). Das stimmt so nicht ganz, die Mauern waren mit Metallen überzogen.

Zur Frage nach der Größe der Insel sagt David Miano, es sei doch ganz klar ein Kontinent, da die Insel größer war als Asien und Libyen zusammengenommen, die ihrerseits Kontinente sind (24:48). Das stimmt auch. Allerdings verhindert diese oberflächliche Betrachtung das Stellen wertvoller historisch-kritischer Fragen:

Entgegen der Meinung von David Miano ist es keinesfalls ein Widerspruch zur guten Erinnerung des Kritias im Timaios-Dialog, wenn Kritias im Kritias-Dialog die Göttin der Erinnerung um Unterstützung anruft (26:08). Auch im Timaios-Dialog heißt es, dass Kritias sich die Geschichte erst in Erinnerung rufen musste.

Die ägyptischen Priester, denen Herodot begegnet, sind in der Tat – teilweise – nicht sehr glaubwürdig (32:30). Allerdings hatte Solon offenbar einen ganz anderen Zugang, denn er wurde als Staatsgast empfangen. (Und Herodot erkannte die Priestermärchen als Märchen.)

Was richtig getroffen wurde

Ja, das fiktive Datum des Dialoges dürfte 421 v.Chr. gewesen sein (3:22).

Ja, der Dialogteilnehmer Kritias war höchstwahrscheinlich nicht der Tyrann Kritias, sondern Kritias der Großvater (4:01).

Ja, die Atlantisdialoge können nicht als "stenographic records of real conversations" angesehen werden (5:30).

Ja, es ist unklar, wie lange nach dem Sieg von Ur-Athen über Atlantis die Insel Atlantis unterging (16:46).

Ja, die Angaben zu den Truppen von Atlantis könnten von Platon übertrieben worden sein (22:47). Allerdings gibt es solche Truppenlisten tatsächlich in ägyptischen Kriegsberichten. Herodots Beschreibung der Truppen des Perserreiches steht dem zudem in nichts nach. Es ist also zumindest realistisch.

Ja, die Erwähnung von Göttern macht die Atlantisgeschichte noch nicht zu einer irrealen Geschichte (30:25). Allerdings ist es auch nicht ganz richtig, dass Platon nicht an die traditionellen Götter glaubte. Vielmehr baute Platon die traditionellen Götter in seine Kosmologie im Timaios mit ein.

Ja, die Flut von Atlantis war keine weltweite Flut. (34:13) Eine wichtige Einsicht gegen pseudowissenschaftliche Fehldeutungen!

Ja, was Herodot über "Atlantes" schreibt, hat nichts mit Platons Atlantis zu tun (36:15). Dasselbe gilt allerdings auch für die "Atlantioi" des Diodorus Siculus.

Dank an David Miano

Wir haben David Miano zu danken:

Bibliographie

Franke (2006/2016): Thorwald C. Franke, Mit Herodot auf den Spuren von Atlantis – Könnte Atlantis doch ein realer Ort gewesen sein?, zweite verbesserte und vermehrte Auflage, Verlag Books on Demand, Norderstedt 2016. Erstauflage war 2006.

Franke (2010/2016): Thorwald C. Franke, Aristoteles und Atlantis – Was dachte der Philosoph wirklich über das Inselreich des Platon?, zweite erweiterte Auflage 2016, Verlag Books on Demand, Norderstedt 2016.

Franke (2016/2021): Thorwald C. Franke, Kritische Geschichte der Meinungen und Hypothesen zu Platons Atlantis – von der Antike über das Mittelalter bis zur Moderne, 2. Auflage in 2 Bänden, Verlag Books on Demand, Norderstedt 2021. Erste Auflage war 2016.

Franke (2021): Thorwald C. Franke, Platonische Mythen – Was sie sind und was sie nicht sind – Von A wie Atlantis bis Z wie Zamolxis, Verlag Books on Demand, Norderstedt 2021.



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