Angie Hobbs ist eine sehr bekannte Sprecherin auf allen möglichen Konferenzen und eine gefragte Interview-Partnerin in Radiosendungen, Internet-Podcasts und TV-Dokumentationen zu allen Fragen rund um die Antike und antike Philosophie. Dafür gibt es zwei Gründe: Zum einen ist Angie Hobbs Professor of the Public Understanding of Philosophy an der Universität Sheffield. Das bedeutet, dass es ganz einfach ihre Aufgabe ist, Wissenschaft an die Öffentlichkeit zu kommunizieren. Zum anderen aber ist Angie Hobbs eine enthusiastische Person und eine sehr sympathische Erscheinung, der man gerne zuhört.
Angie Hobbs ist also keine Wissenschaftlerin im stillen Kämmerlein (obwohl sie einige bemerkenswerte Bücher geschrieben hat), sondern sie will vielmehr der Öffentlichkeit die Forschung ihrer Kollegen in der Wissenschaft präsentieren. Angie Hobbs äußert sich deshalb weniger in subtil ausgearbeiteten wissenschaftlichen Veröffentlichungen, die vor der Öffentlichkeit verborgen bleiben würden, sondern vor allem in Vorträgen. Und natürlich verzichtet Angie Hobbs keinesfalls auf eine eigene Meinung, die sie mit Verve und auf der Grundlage von Prinzipien vertritt. Kürzlich engagierte sich Angie Hobbs mit einem sehr persönlichen Beitrag für das Projekt Philosophers for Ukraine: "If human life is to be worth living for any of us, then we must stand up for liberty, honesty and decency, ..."
In ihren vielen Vorträgen, Interviews und Podcasts, die im Internet zur Verfügung stehen, spricht Angie Hobbs immer wieder über Platons Atlantis. Und wo Atlantis nicht im Zentrum der Betrachtung steht, wird sie vom Publikum danach gefragt. Es lohnt sich, ihre Meinung über Atlantis anzuhören. Das werden wir im folgenden mit drei ihrer Vorträge tun.
(Wir können es uns nicht verkneifen, darauf hinzuweisen, dass Angie Hobbs einst eine Beziehung zu dem Romanautor David Gibbins hatte. David Gibbins hat eine ganze Reihe von Romanen geschrieben, in denen Atlantis ein realer Ort ist. Nach eigenen Angaben hat Angie Hobbs diese Romane nie gelesen, und natürlich sind diese Romane allesamt reine Fiktion ...)
Die drei Vorträge bzw. Interviews sind:
Wie gehen wir vor? Wir konzentrieren uns auf die zentralen Sachargumente im ersten Vortrag in der Reihenfolge, in der die Argumente im Vortrag genannt werden. Für die folgenden Vorträge ergänzen wir, was zusätzlich oder abweichend dazu gesagt wird. Unwichtige Aspekte lassen wir unbeachtet.
Es wird empfohlen, mindestens den ersten Vortrag – der auch der beste ist – komplett anzusehen, bevor man den folgenden kritischen Kommentar liest. Das schützt vor Voreingenommenheit.
Ganz zu Anfang macht Angie Hobbs eine sehr korrekte Unterscheidung: Sie spricht von Platons Atlantisgeschichte als "legend" als einem neutraleren Wort als "myth". Doch bald darauf geht sie umstandslos dazu über, das Wort "tale" zu benutzen, was eine Geschichte von eher fragwürdiger Verlässlichkeit bezeichnet. – Da Platon die Geschichte nicht als ein bloßes "tale" präsentiert, sondern explizit als eine angeblich verlässliche historische Überlieferung im expliziten Gegensatz (!) zu bloßen "tales", ist das unangemessen. Denn gerade auch dann, wenn die Atlantisgeschichte doch eine Erfindung sein sollte, ist sie dennoch kein "tale", sondern dann eine Erfindung, die sich als verlässliche Überlieferung ausgibt.
Interessanterweise sagt Angie Hobbs in der Einleitung, dass es auch im Mittelalter eine große Debatte um Atlantis gegeben hätte, denn das lateinische Mittelalter hatte von Platon nur den Dialog Timaios, in dem auch die Atlantisgeschichte vorkam. Das ist richtig! Aber in 2014 schrieben alle Wissenschaftler noch, dass das Mittelalter zu Atlantis schwieg. Erst 2016 hat Thorwald C. Franke diesen Irrtum anhand zahlreicher Quellen widerlegt. Woher hatte Angie Hobbs dieses Wissen? Auf was bezieht sie sich?
Die Einführung der Atlantisgeschichte im Dialog Timaios wird falsch dargestellt. Angie Hobbs berichtet vom Wunsch des Sokrates, den Idealstaat in Bewegung zu sehen, und sagt dann: "Fortunately – usually an indication of Plato as being ironic – his great friend Critias happens to remember a story ...". – Es ist aber ganz anders. Zuerst schlägt Sokrates vor, dass die Dialogteilnehmer eine solche Geschichte auf der Grundlage ihre Kompetenzen frei erfinden sollen. Dann jedoch kommt es zu einer Wendung: Kritias schlägt statt dessen eine reale Geschichte als Grundlage vor. Und Sokrates stimmt zu: Eine reale Geschichte ist besser als eine Erfindung. Diese Wende wird von Atlantisskeptikern sehr häufig unerwähnt gelassen.
Was das "Fortunately" (ἔκ τινος τύχης; Timaios 25e) anbelangt, haben sich die Übersetzer mit der Stelle schwer getan und sie sehr verschieden übersetzt. Der ironische Effekt des "Fortunately" existiert nicht in jeder Übersetzung. Wir kommen gleich noch einmal auf dieselbe Stelle Timaios 25e zu sprechen, wo wir sehen werden, dass es nicht um Ironie geht. Es trifft auch nicht zu, dass es in Platons Dialogen andere Stellen gäbe, an denen dieselbe Formulierung vorkommen und auf Ironie hinweisen würde, wie man aufgrund von Hobbs' Aussage "usually an indication" vermuten könnte.
Laut Hobbs war der Westen für die Griechen ein Reich der Phantasie. – Es ist aber sehr fraglich, ob man die traditionelle griechische Mythologie, die mit dem Westen verbunden ist, als Produkt einer freien "Phantasie" verstehen sollte. Das Atlasgebirge, die Gärten der Hesperiden, die Inseln der Glückseligen sind keine frei erfundenen Phantasiegebilde von Romanautoren, sondern feststehende Begriffe in einer über viele Generationen hinweg überlieferten Mythologie. Es ist durchaus ungewöhnlich, dort eine Insel Atlantis hinzufügen. Noch dazu lag diese Insel keinesfalls in einem unerreichbaren Westen, sondern sie soll unmittelbar vor der Meerenge von Gibraltar gelegen haben, denn dort soll der Schlamm, der von der untergehenden Insel zurückgelassen wurde, den Weg nach Westen in das Atlantische Meer versperrt haben. Noch Aristoteles glaubte an diesen Schlamm. Atlantis war also nicht in mythischer Ferne.
Wieder zur Stelle Timaios 25e, übersetzt Angie Hobbs auf ihrer Folie von der Geschichte des Kritias über Athen und Atlantis: "As 'by some miraculous chance', it matched the ideal state of the Republic in every detail." Auf einer späteren Folie übersetzt sie leicht anders: "... in all particulars". – Das ist gleich doppelt falsch. Erstens steht bei Platon nichts von einer Übereinstimmung "in jedem Detail", sondern nur "in Vielem" oder "in den meisten Punkten", aber eben nicht in allen Punkten. Das haben die meisten Übersetzer auch richtig gesehen. Und am Ende muss Kritias dann doch die Bürger des Idealstaates in seine historische Geschichte einfügen, wie er selbst sagt, was nichts anderes bedeutet, als dass die mutmaßliche historische Vorlage nicht der volle Idealstaat gewesen sein kann. – Der zweite Fehler ist die Übersetzung "by some miraculous chance" (ὡς δαιμονίως). Sie ist falsch. Es handelt sich nicht um ein "Wunder", sondern um eine Referenz auf das Daimonion des Sokrates. Allerdings hat das bis heute kaum jemand richtig erkannt, was Angie Hobbs entschuldigt. Das Daimonion des Sokrates mag uns modernen Menschen nicht sehr glaubwürdig erscheinen, in den Dialogen Platons ist es jedoch immer ernst zu nehmen. – Angie Hobbs will in dieser Aussage Ironie sehen, was sie im Vortrag mehrfach wiederholt. Auf der Grundlage ihrer Übersetzung ist das völlig verständlich. Zu dieser Stelle gehört auch die ironisch klingende Übersetzung "Fortunately" von oben. Diese Übersetzung passt aber nicht zum Daimonion des Sokrates. Kurz: Von der angeblichen Ironie der Stelle Timaios 25e bleibt nichts übrig.
Angie Hobbs spricht von "tsunamis" im Zusammenhang mit dem Untergang von Atlantis. Aber bei Platon wird nirgendwo von Tsunamis gesprochen. Platon spricht von Erdbeben und einer Flut, die durch Regen verursacht wird. Es ist natürlich erlaubt, von Erdbeben auf Tsunamis zu schließen, aber man beachte, dass eine Insel durch einen Tsunami nicht untergeht, sondern nur zeitweise überschwemmt wird.
Es ist zumindest sehr übertrieben, Atlantis als "fabulously wealthy, powerful and technologically advanced" zu bezeichnen. Immerhin gab es in Atlantis Regenmangel im Sommer und kalte Nordwinde und die Technologie von Atlantis entsprach der ganz normalen Technologie der Bronzezeit: Wasserbauten und Streitwagenarmeen. Es gibt keinen Grund von "fabulous" zu sprechen. Es gibt weder Monster noch Magie in Platons Atlantisgeschichte. Nur Elefanten und ein unbekanntes Metall, das als Oreichalkos beschrieben wird, was einfach "Bergerz" bedeutet.
Es ist falsch, dass sich die Könige von Atlantis "every 5 and 6 years" trafen. Sie trafen sich "in jedem 5. bzw. 6. Jahr", und das bedeutet im Klartext "alle 4 bzw. 5 Jahre". Es ist außerdem völlig unklar, was das bedeuten soll. Es ist nicht möglich, hier einfach ein pythagoreisches Muster erkennen zu wollen.
Es ist falsch, das Apaturien-Fest als ein Täuschungsfest im Sinne unseres 1. April zu deuten. Dieses Argument wird zum Glück auch nur von wenigen Wissenschaftlern benutzt (die von ihren Kollegen, die das Argument nicht benutzen, jedoch nicht korrigiert werden; aber warum nur korrigieren sie ihre Kollegen nicht in diesem und in vielen anderen Punkten? Gilt Atlantis als nicht so wichtig, da ist es dann egal?!).
Relativ gut gelungen ist Angie Hobbs die Darstellung der Rezeption der Atlantisgeschichte bei antiken Autoren. Der Grund findet sich in dem Satz, mit dem sie die entsprechende Folie einleitet: Sie hätte das vor einigen Wochen geschrieben und glaubt jetzt selbst nicht mehr völlig daran, weil sie in den letzten Wochen einige Forschung dazu betrieben hätte. Sie sagt: "Because the crucial point is, don't believe what you read in encyclopedias and dictionaries and even in very scholarly works, like this one ... full of scholarship but also some mistakes in it." Ein bemerkenswerter Satz. Die Forschung zu Atlantis ist alles andere als abgeschlossen.
Krantor, Poseidonios und Strabon hielten Atlantis für möglich, sogar wahrscheinlich, sagt sie, während Aristoteles gedacht zu haben scheint, dass Platon Atlantis erfand. Damit gäbe es bereits unter den frühen Nachfolgern Platons – Krantor und Aristoteles – eine Meinungsverschiedenheit. Dann geht sie jedoch auf neuere Forschungen zu Krantor und Aristoteles ein und sagt, dass es bei beiden nicht ganz sicher sei. Das ist eine erstaunlich ehrliche Meinung zu diesem Thema. Sie spielt natürlich auf die Thesen von Thorwald C. Franke und Harold A. Tarrant an, ohne diese Autoren zu nennen. Leider tendiert Angie Hobbs dazu, doch an Aristoteles als den Autor der Zweifel an Atlantis zu glauben, und doch zu glauben, dass Krantor vielleicht gar nicht an eine historische Überlieferung glaubte. Aber immerhin: Sie hat offen ausgesprochen, dass es Bedenken gibt. Das ist sehr lobenswert. Sehr richtig auch, dass Proclus an eine historische Überlieferung glaubte. Dass Plutarch eher skeptisch war, ist nicht ganz richtig. Plutarch sah eine Mischung aus einer echten historischen Überlieferung und Zufügungen von Platon. Eusebius glaubte zwar an die Historizität der Begegnung Solons mit dem ägyptischen Priester, wie Angie Hobbs richtig sagt, doch er glaubte aus chronologischen Gründen mit großer Sicherheit nicht an die Existenz von Atlantis, denn die 9000 Jahre von Atlantis widersprachen dem (vermeintlich) biblischen Alter der Welt von nur 6000 Jahren. Über dieser Frage gab es einen Streit zwischen den Platonikern und gewissen Christen.
Die These über die antike Rezeption der Atlantisgeschichte ("All we can say for sure is there was huge interest") ist nicht völlig richtig. Es gab in der Antike zwar einige Debatten rund um Platons Atlantisgeschichte, aber es ging selten um Atlantis als solches, denn das galt als versunken und unerreichbar, sondern immer um Themen, die mit der Atlantisgeschichte verbunden waren, so z.B. die Reputation Platons oder die Frage nach der richtigen Chronologie.
Es ist sicher wahr, dass Platon fähig war, die Atlantisgeschichte zu erfinden, aber weder die angeblichen "utopian fantasies" in der Politeia und in den Nomoi, noch die sogenannten Platonischen Mythen sind Beispiele von solchen Erfindungen. Denn alle diese Geschichten sind von Platon nicht einfach erfunden worden! – Die Politeia und die Nomoi sind politische Theorien, die auf rationalen Überlegungen beruhen. Und Platon schreibt, dass Annäherungen an den Idealstaat in der Vergangenheit existierten und in Zukunft wieder existieren werden. Die Bezeichnung "utopian fantasy" ist für politische Theorien einfach nicht angemessen, auch wenn Platons Theorien aus moderner Perspektive sehr utopisch klingen. – Und die sogenannten Platonischen Mythen sind subtile Kombinationen aus mythischen Traditionen, aus historischen Überlieferungen, aus Gleichnissen, und auch aus rationalen Überlegungen. Bei den Platonischen Mythen handelt es sich nicht einfach um aus der Luft gegriffene Erfindungen. Platon lässt seinen Sokrates sogar in expliziten Worten sagen, dass er einfach unfähig dazu ist, etwas aus der blauen Luft heraus zu erfinden.
Die Darstellung der Aussagen dazu, dass die Atlantisgeschichte wahr ist, ist mehr oder weniger korrekt Aber es trifft nicht zu, dass die Ägypter in den Augen Platons generell "untrustworthy" waren. Plato glaubte, dass auch Ägypten einstmals ein voll entwickelter Idealstaat in seinem Sinne war.
Es ist falsch, dass einige Elemente "clearly fantastical" seien: Natürlich sind die Gründungsgeschichten unter Beteiligung der Götter mythisch, aber man beachte, dass viele real existierende antike Städte solche mythischen Gründungsgeschichten hatten. Das macht Atlantis noch lange nicht zu einer "fantastischen" Erfindung. Auch das Oreichalkos ist keineswegs ein mythisches Material, sondern letztlich einfach ein unbekanntes "Bergerz". Es ist nicht einmal so viel wert wie Gold. Von einem mythischen Material hätte man sich mehr erwarten können.
Dann fährt Angie Hobbs mit einigen Thesen über die Überlieferung der Atlantisgeschichte fort, die bei Atlantisskeptikern populär doch gleichwohl falsch sind. So z.B. die These von der mündlichen Überlieferung, die viel Raum für Irrtum lasse. Doch Solon fertigte Aufzeichnungen an, die Kritias noch besaß (bzw. Platon in derselben Verwandtschaft, wie man annehmen kann). Richtig ist allerdings, dass es bei der Übertragung von Informationen von Ägypern an Griechen zu typischen Irrtümern und Missverständnissen gekommen sein kann. Wenn es solche typischen Irrtümer gibt, wäre das ein starkes Indiz dafür, dass es tatsächlich eine Überlieferung aus Ägypten ist. – Dann folgt die These von der angeblichen Verwirrung um die 8000 und 9000 Jahre, und ob die ägyptischen Priester nicht einfach betrogen haben. Dieser Verwirrung liegt die Verwechslung von Sais und Ägypten zugrunde. Ägypten galt damals als 11000 Jahre alt und älter. Die These vom Priesterbetrug vertritt heute eigentlich niemand mehr.
Angie Hobbs räumt dann ein, dass die Atlantiserzählung als logos präsentiert wird, "but clearly in a lot of its details it is some kind of mythos". Damit fühlt sich Angie Hobbs berechtigt, Aussagen Platons bezüglich mythos auf die Atlantisgeschichte anzuwenden. Dem ist zu widersprechen. – Außerdem unterscheidet Angie Hobbs nicht sauber zwischen mythos und Mythos. Das ist nicht dasselbe. Sie selbst bemerkt, dass auch die Kosmologie des Timaios als mythos bezeichnet wird. Es handelt sich jedoch gewiss nicht um einen Mythos. Angie Hobbs behauptet, dass die alten Griechen generell nicht scharf zwischen logos und mythos unterschieden hätten. Das ist gerade in Bezug auf Platon völlig falsch. Völlig falsch ist auch die Deutung, dass Platon mit der Aussage, dass es sich um einen "wahren logos" handelt, ein Spiel mit den Lesern spiele. Man kann nicht einfach jede Aussage, die einer bevorzugten Deutung widerspricht, zur Ironie erklären.
Hobbs sieht in der Atlantisgeschichte Anspielungen an die Perserkriege und eine Kritik des athenischen Imperialismus im Peloponnesischen Krieg. Vor allem sieht sie eine Warnung vor der Expansion Makedoniens. Das letztere ist keine verbreitete Meinung unter Wissenschaftlern, aber zugegeben: Diese Deutung ist nicht schlechter als die vielen anderen Deutungen, die es gibt. Kein Wort wird darüber verloren, dass es in der Wissenschaft keine Einigkeit darüber gibt, wie diese Anspielungen zu interpretieren sind, um es vorsichtig auszudrücken. Sizilien wird nicht erwähnt.
Die Darstellung von Geschichte sei bei Platon nicht an Details interessiert, sondern nur an den großen Entwicklungen. Angie Hobbs schreibt auf ihrer Folie: "Plato [was] simply not particularly concerned with a precise factual recovery of the past. He is always happy to mix historical and mythological sources (as we would distinguish them) and embellish them with his own fertile imagination." – Nein! Platon war bestimmt nicht "happy" so etwas zu tun. Im Gegenteil. Bei Platon wird immer sauber unterschieden: Was ist ein Gleichnis, was ist ein mythos, was ist ein logos. Diese Dinge werden zwar unter Leitung der Vernunft kombiniert, aber ihre Unterschiede werden nicht verwischt. Das zu behaupten ist einfach falsch. Und noch falscher ist, dass Platon irgendetwas mit "fertile imagination" ausschmückte. Platon fügte Schlussfolgerungen hinzu, an die er selbst glaubte, oder er führte eine Darstellung in dem Sinn aus, wie sie gemeint war, aber er fügte nicht einfach phantasievoll Dinge zu einer Darstellung hinzu, die mit der Sache nichts zu tun hatten. Und was geschichtliche Darstellungen anbelangt: Glenn R. Morrow hat ein ganzes Buch geschrieben, in dem er Platons "loyalty to history" nachweist.
Angie Hobbs meint, damals hätte eine Literatur über das Goldene Zeitalter geblüht. – Wir wissen nichts von einer solchen Literatur, und selbst wenn, die Atlantisgeschichte hätte nicht in eine solche Literatur hineingepasst.
Angie Hobbs schließt damit, dass es sich bei der Atlantisgeschichte im Wesentlichen um eine Erfindung von Platon handeln würde, in die vielleicht Erinnerungen an die Minoische Zivilisation und den Ausbruch des Vulkans Thera eingeflossen sind. Platon würde seine Leser durch seine Geschichte zum Philosophieren bringen.
Interesant die Frage auf der Schlussfolie: "Would we be elated or disappointed if Atlantis were ever actually found? Do we need it to remain a myth?"
Auf die Frage nach der Schriftlichkeit der Überlieferung sagt Angie Hobbs, dass auch Platons Dialoge oft eine (angeblich) ähnlich verschachtelte Anlage ihrer Überlieferung haben, und dass Platon gegen die Schriftlichkeit war. – Dem ist zu widersprechen. Sie übersieht vor allem den Unterschied zwischen der Form der Dialoge und den Inhalten der Dialoge. Die Dialoge sind natürlich fiktional, ihre Inhalte hingegen nicht unbedingt. Es ist auch falsch, dass Platon generell gegen die Schriftlichkeit eingestellt gewesen wäre. Gerade die schriftliche Überlieferung aus Ägypten wird ausdrücklich gelobt, als Kontrast zu einer bloß mündlichen Überlieferung.
Angie Hobbs sieht keinen Grund, warum ägyptische Priester Solon eine solche Geschichte hätten erzählen sollen. – Da gibt es aber eine Menge Gründe! Einmal, um die Überlegenheit ihrer Kultur zu demonstrieren. Dann aber auch, um das Bündnis mit Athen gegen die Perser zu untermauern. Diese Theorie hat z.B. Herwig Görgemanns verfolgt, der auf eine ägyptische Gesandtschaft in Athen verweist.
Die spätere Rezeptionsgeschichte wird von Angie Hobbs nicht korrekt dargestellt. Sie meint, dass es bis zum 19. Jahrhundert ernsthafte Denker gab, die eine gewisse Wahrheit in der Atlantisgeschichte sahen, aber sie kennt keinen, der es in jedem Detail ernst nahm. Das ist so nicht richtig. Bis ins 19. Jahrhundert wurde die Atlantisgeschichte überwiegend für wahr gehalten, und zwar ziemlich wörtlich. Es ist auch falsch, dass das Interesse an Atlantis am Ende des 19. Jahrhunderts deshalb anstieg, weil damals die Theorie von Thera und der Minoischen Kultur aufkam. Der Anstieg hat andere Gründe. Ein Grund ist, dass die Wissenschaft die Frage nach Atlantis als einem realen Ort den Pseudowissenschaftlern überlassen hatte, sobald klar wurde, dass es nicht wörtlich wahr sein kann. Das hätte sie besser nicht getan.
Zur Frage, ob Wissenschaftler danach noch Atlantis ernst nahmen, sagt Angie Hobbs wenig hilfreiches: "I don't think any ancient philosopher or Plato specialist thinks it is literally true." – Natürlich nimmt niemand mehr die Geschichte wortwörtlich wahr. Aber hier hätte sie auf historisch-kritische Interpretationen eingehen können, z.B. auf die Theorien um die minoische Zivilisation, von John V. Luce bis hin zu Herwig Görgemanns, einem ausgewiesenen Spezialisten für Platon. Aber sie schweigt dazu.
Es ist zu begrüßen, dass Angie Hobbs an keiner Stelle sagt, dass "die Nazis" an Atlantis glaubten. Sie spricht korrekt von Himmler und nur von Himmler. Allerdings ist es falsch, dass die Tibet-Expedition eine Atlantisexpedition war. Der Expeditionsleiter Ernst Schäfer wehrte erfolgreich den Versuch ab, den Autor und pseudowissenschaftlichen Atlantisgläubigen Edmund Kiss mit auf die Expedition zu nehmen: Dann wäre es eine Atlantisexpedition gewesen, wenn auch nur eine inoffizielle. Aber ohne Kiss war es "nur" eine rassistische Expedition, keine Atlantisexpedition. Lediglich im Kopf Himmlers war es vielleicht auch eine Atlantisexpedition. – Angie Hobbs irrt auch mit dieser Aussage: "Himmler had, probably, a few tame academics who said, it is true, is it not, that descendants of Atlantis can be found in Tibet". Denn während der Herrschaft des Nationalsozialismus fuhren die deutschen Philologen und Philosophen damit fort, Atlantis als Erfindung zu bezeichnen. Atlantis war kein Thema in den Schulbüchern. Und Adolf Hitler äußerte sogar einen spöttischen Satz über Atlantisgläubige in einer seiner Reden.
Dieser Vortrag betrachtet Platons politische Ansichten in einem breiteren Kontext. Während das an sich eine wertvolle Perspektive ist, wird der Timaios-Kritias mit der Atlantisgeschichte hier nur als einer von mehreren Dialogen Platons behandelt. Wichtig sind vor allem die letzten 10 Minuten der Diskussion, die sich der Frage widmen, warum Angie Hobbs glaubt, dass Atlantis eine Erfindung Platons ist.
Im Vortrag und in der Diskussion wiederholt Angie Hobbs viele der Thesen, die wir schon im vorigen Vortrag gesehen hatten, teilweise unter Wiederverwendung einiger ihrer Folien von 2014. Es gibt aber auch einige neue bzw. modifizierte Thesen:
Das Publikum will wissen, warum Angie Hobbs glaubt, dass Atlantis eine Erfindung Platons ist – Angie Hobbs setzt ihre Brille auf, nimmt ein vorbereitetes Manuskript zur Hand, und sagt: Ich wusste, dass diese Frage kommen wird ...
Angie Hobbs beginnt mit der richtigen Beobachtung, dass moderne Adaptionen der Atlantisgeschichte übersehen, dass Atlantis der "bad guy" war, und dass es etwas über uns selbst aussagt, dass "wir" uns gerne mit der "Lotus-essenden" Gesellschaft von Atlantis identifizieren. Das ist eine sehr berechtigte Frage. – Man beachte jedoch, dass "Lotus-essend" eine Übertreibung ist, denn Atlantis ist kein Wunderland und es wird dort auch kein Lotus gegessen. Das gibt es nur in der Odyssee des Homer. Man könnte die zusätzliche Frage stellen, warum "wir" Atlantis eigentlich immer zu einem Wunderland aufblasen müssen, obwohl es gar keines ist?
Seltsamerweise sagt Angie Hobbs: "Socrates never ever says that Atlantis exists, only his friend Critias who says this", nur um etwas später zu sagen: "Socrates says that a great point in the favour of the tale of Atlantis is that it is not a fiction, not a mythos, but true history, a true logos." – Ein klarer Selbstwiderspruch.
Weiter heißt es, Critias "mentions ... the imperfections of an old man's memory". – Doch in Wahrheit ist in Platons Timaios nicht von den "imperfections" des Gedächtnisses eines alten Mannes die Rede, sondern im Gegenteil davon, dass man sich im Alter besonders gut an seine Kindheit erinnern kann.
Angie Hobbs fährt fort: "Critias even tells us that all the statements we make are inevitably pictures or images, he actually says that, when dealing with images and metaphors here." In der Übersetzung von Jowett lautet die Stelle: "All that is said by any of us can only be imitation and representation." (Kritias 107b) – Doch anders als Angie Hobbs meint, ist das kein Hinweis auf eine Erfindung, und das Wort "metaphor" kommt überhaupt nicht vor. Für Platon ist jede Darstellung der Wirklichkeit nur ein Abbild und eine Repräsentation, und das Ziel ist es, das Abbild der Wirklichkeit möglichst ähnlich zu machen, sprich: möglichst wahr zu sprechen. Mit den Worten des Kritias ist hier nicht nur die Atlantisgeschichte, sondern auch die Kosmologie des Timaios gemeint, die keinesfalls eine Erfindung aus der blauen Luft heraus sein soll. Mehr noch: Timaios wird im Zusammenhang mit seiner kosmologischen Darstellung sogar ein "Dichter" genannt. Wie ist das zu verstehen? Für Platon ist ein guter Dichter eben kein Erfinder von unwahren Geschichten. Der gute Dichter spricht die Wahrheit oder kommt der Realität so nahe wie nur eben möglich. Das ist der Punkt. Deshalb ist Angie Hobbs' Deutung der Aussage des Kritias als ein Hinweis auf eine bloße Erfindung aus der blauen Luft falsch.
Dann weist Angie Hobbs auf die Worte des ägyptischen Priesters hin, dass ein Mythos einen kosmologischen Vorgang oder ein historisches Ereignis symbolisieren könnte, und dass Platon ähnliches im Phaidros sagt. – Das alles ist zunächst richtig. Allerdings wird die Atlantisgeschichte mit großer Betonung als ein logos und nicht als ein mythos präsentiert. Hinzu kommt, dass ein mythos nicht dasselbe wie ein Mythos in unserem modernen Verständnis des Wortes ist.
Angie Hobbs meint, dass damals auch Historiker wie Herodot oder Thukydides nicht wie wir heute an einer präzisen Nachzeichnung der Vergangenheit interessiert gewesen wären, und dass die Grenze zwischen faktischem Bericht und Mythos damals viel mehr verwischt ("blurred") gewesen wäre als heute. – Das ist ganz falsch. Herodot und Thukydides waren sehr daran interessiert, Wahrheit und Unwahrheit voneinander zu unterscheiden. Man kann allerdings sagen, dass ihre Methodik und Konsequenz noch nicht so ausgereift war wie die Methodik und Konsequenz der modernen Historiker. Aber die Absicht der klaren Unterscheidung war in vollem Umfang vorhanden. Es gab bei den antiken Historikern wie auch bei Platon ein sehr starkes Bewusstsein für den Unterschied von Fakten und Mythen und der Notwendigkeit, beides zu unterscheiden. – Tatsächlich gibt es in der Wissenschaft Tendenzen, ausgehend von der Idee, dass die Atlantisgeschichte eine Erfindung ist, darauf zu schließen, dass dann auch Platon und die antiken Historiker das alles nicht so genau genommen haben. Aber das ist eine gefährliche Entwicklung und eine falsche Richtung der Schlussfolgerung. Es wäre fatal, wenn man die Interpretation sämtlicher antiker Autoren danach ausrichten würde, dass Atlantis unbedingt eine Erfindung gewesen sein muss. Denn was, wenn nicht? Auch Angie Hobbs glaubt das nur mit den Worten "almost certainly", d.h. nicht "fully certainly".
Dann deutet Angie Hobbs die Aussage des ägyptischen Priesters "O Solon, Solon, you Greeks are always children" mit den Worten: "You Greeks are gullible, you'll believe any story. Who is Plato writing for? He is writing for Greeks". – Das ist keine akzeptable Deutung. Angie Hobbs übersieht völlig den Kontext dieser Aussage: Der Kontext ist Platons Annahme, dass die Griechen über die Vergangenheit nur Mythen kennen, weil ihre Zivilisation immer wieder von den zyklischen Katastrophen zerstört wurde, während die Ägypter von den Katastrophen jeweils verschont worden sind und schriftliche Aufzeichnungen über Zeiten haben, von denen die Griechen nichts mehr wissen. Die Aussage ist keinesfalls, dass die Griechen leichtgläubig seien. Es geht um den Gegensatz von mündlichem Mythos vs. geschriebener Historie. Die Atlantisgeschichte, die geschriebene Historie der Ägypter, wird als glaubwürdiger logos den Mythen der Griechen gegenübergestellt. Es ist völlig falsch, dass die Atlantisgeschichte als ein Lügenmärchen dargestellt würde, das nur naive Griechen glauben würden.
Angie Hobbs hat die Tendenz, alles, was auf die Wahrheit der Atlantisgeschichte hinweist, als Ironie zu deuten. Sie sieht sogar "layers upon layers of irony". Auch die klare Aussage des Sokrates, dass es kein mythos sondern logos sei, wird kurzerhand mit dem Hinweis auf Ironie abgetan. – Was aber, wenn da gar keine Ironie ist, sondern alles nur wie Ironie erscheint, weil man Atlantis unbedingt als Erfindung deuten möchte? Markieren diese "layers upon layers of irony" nicht vielmehr ein großes Fragezeichen? Was, wenn diese "layers upon layers of irony" tatsächlich nur das Resultat eines völlig falschen Interpretationsansatzes sind, der überall Ironie sehen muss, um eine historische Geschichte in eine fiktionale Geschichte zu deuten? Was, wenn die Atlantisgeschichte tatsächlich eine verzerrte historische Überlieferung ist? Die Forschung hat generell von der Meinung des romantischen 19. Jahrhunderts Abstand genommen, überall in Platons Werken Ironie zu sehen, erst recht in den Spätwerken. Diese "layers upon layers of irony" erinnern sehr an die ptolemäische Epizykeltheorie, die die Bewegung der Planeten auf sehr komplizierte Weise zu erklären versuchte, bis Kopernikus eine viel einfachere Erklärung fand. Diese viel einfachere Erklärung wäre im Fall von Platons Atlantis, dass es von Platon wirklich als wahre Geschichte gemeint war.
Zuletzt meint Angie Hobbs, dass Erinnerungen an die Minoische Kultur eine vage historische Grundlage der Atlantisgeschichte sein könnten, "but that's not what Plato is interested in". – Wirklich nicht? Platon hatte eine Geschichtstheorie, dass sich die Geschichte immer wieder wiederholt. Warum sollte Platon kein Interesse an Geschichte haben, um seine Theorie zu bestätigen? Wir finden den Gedanken ja auch bei Aristoteles, der in alten Mythen dunkle Überlieferungen einer Zivilisation vor der letzten Flutkatastrophe sieht. Heißt es nicht in der Politeia, dass der ideale Staat (in Annäherung) in der Vergangenheit existiert habe, und auch in Zukunft existieren wird? Tut Platon mit der Atlantisgeschichte nicht dasselbe wie moderne Politikwissenschaftler, die ihre Theorien anhand von geschichtlichen Vorgängen zu bestätigen versuchen? Und ist es nicht bis heute so, dass wir dank der ägyptischen Aufzeichnungen von vielen Ereignissen wissen, die sonst unweigerlich der Vergessenheit anheim gefallen wären?
Im diesem Interview mit Anya Leonard ist Angie Hobbs von den formalen Fesseln eines akademischen Vortrages befreit, so dass ihr ganzer Enthusiasmus ungebremst zum Tragen kommt und durch keine Folien und durch kein Manuskript gezügelt wird, die ein Mindestmaß an Form und Struktur gewährleistet hätten. Was auf der menschlichen Ebene durchaus sympathisch ist, führt leider zu einem Verlust an Qualität auf der sachlichen Ebene.
Natürlich sagt Angie Hobbs auch Dinge, die richtig sind. Am Ende sagt sie zum Beispiel, dass Platons Atlantisgeschichte auch eine Warnung vor modernen Formen von Imperien enthält, z.B. "social media empires" und anderen Formen des Imperialismus in unserer Zeit, und "dass aber durch das eifrige Streben nach denselben (Gütern) und ihre Wertschätzung diese selbst sowie jene (die Tugend) mit ihnen zu Grunde gehe", wie Platon schrieb (Timaios 121a). Sehr wahr.
Am auffälligsten ist, dass Angie Hobbs die Aufmerksamkeit nicht einen Moment auf eine historisch-kritische Deutung von Platons Atlantis lenkt. Die Atlantisgeschichte wird rein wörtlich interpretiert. Deutungen wie die minoische Kultur werden nur als vage Inspiration Platons aus dem kollektiven Gedächtnis der Griechen zugelassen, nicht als verzerrte historische Überlieferung aus Ägypten. Es wird kein Gedanke daran verschwendet, dass praktisch alles, was Platon schrieb, zur damaligen Zeit völlig glaubhaft war. Nur wir Moderne wissen es besser. Aber das bedeutet nicht, dass hier irgendetwas erfunden wurde, im Gegenteil: Unser besseres Wissen gibt uns die Möglichkeit an die Hand, die antiken Irrtümer auf das wahrhaft Gemeinte bzw. falsch Verstandene zurückzuführen! Aber dieser Ansatz bleibt völlig undiskutiert.
Auf der anderen Seite fällt auf, dass Angie Hobbs Platons 9000 Jahre nicht als Argument für die Erfindung von Atlantis anführt. Natürlich erwähnt Angie Hobbs die 9000 Jahre und lässt sie auf den weniger gebildeten Zuhörer wie eine fantastische Angabe wirken – doch Angie Hobbs spricht dieses Argument an keiner Stelle explizit aus. Offenbar ist sie sich der historisch-kritischen Deutung bewusst, wegen der das Argument "fantastische Angabe" für die 9000 Jahre nicht funktioniert. Denn die alten Griechen lebten generell in dem Irrtum, dass Ägypten ein Alter von 11000 Jahren und mehr hatte. Wenn man die 9000 Jahre in diesem historischen Kontext deutet, verweisen sie auf ein Datum nach der Gründung Ägyptens, das in Wirklichkeit um 3000 v.Chr. war. Und zwar auch dann, wenn die Atlantisgeschichte eine Erfindung Platons sein sollte. Darauf haben inzwischen mehrere Wissenschaftler hingewiesen. Leider erklärt Angie Hobbs die historisch-kritischen Zusammenhänge nicht. Das ist ein Versäumnis.
Seltsamerweise bleiben wesentliche Teile der Atlantisgeschichte, die für die moralische Deutung von Wichtigkeit sind, bei Angie Hobbs unerwähnt: Die Ur-Athener bewahren ihren Idealstaat, indem sie die gottgegebene Verfassung im Herzen tragen und durch Erziehung weitergeben. Die Könige von Atlantis jedoch werden dadurch dekadent, dass das göttliche Element in ihnen durch fortschreitende Vermischung mit den Sterblichen immer mehr schwindet. Doch bei Angie Hobbs bleibt unklar, warum die Atlanter dekadent werden, und worin die Tugend der Athener besteht. Die Tugenden, die wir bei Platon finden, sind einerseits eher konservativ, andererseits steht Wahrhaftigkeit bei Platon ganz hoch im Kurs. Beides passt wohl nicht ganz zu Angie Hobbs' Vorstellung von Platon als einem antiautoritären Mythenerfinder.
Angie Hobbs ist eine professionelle Wissenschaftsvermittlerin und reflektiert als solche Meinungen wie sie aktuell in der Wissenschaft existieren. Das hat sie mit ihren Vorträgen und Interviews getan. Es versteht sich von selbst, dass das auch fragwürdige Meinungen einschließt. Es ist vor dem Hintergrund der aktuell in der Wissenschaft vorherrschenden Erfindungsthese sehr verständlich, dass Angie Hobbs in ihrem Erfindungsenthusiasmus zu diesen Schlussfolgerungen kam, so falsch sie in Teilen auch sind. Letztlich ist Angie Hobbs ein Opfer der derzeit vorherrschenden Erfindungshypothese, die von Platonforschern vertreten wird, die ihre Hausaufgaben zu Platons Atlantis nicht gemacht haben.
In jedem Fall ist Angie Hobbs eine waschechte Wissenschaftlerin. Denn sie sagt nicht, dass die Atlantisgeschichte mit Sicherheit eine vollkommene Erfindung Platons ist, sondern nur "almost certainly" und teilweise und mit Vorbehalt. Und zu manchen Aspekten schweigt sie lieber ganz, statt etwas falsches zu sagen.
Außerdem denkt Angie Hobbs über die bloße Frage nach der Existenz hinaus, was ein sehr wertvoller Ansatz ist: Was will Platon uns sagen? Sollten wir nicht lieber nach der verlorenen Tugend statt nach dem verlorenen Atlantis suchen? Und was verrät unser Umgang mit Platons Atlantis über uns selbst: Warum identifizieren wir uns so leicht mit dem dekadenten Atlantis und vergessen dabei das tugendhafte Athen? Und besonders schön ist ihre Frage: "Would we be elated or disappointed if Atlantis were ever actually found? Do we need it to remain a myth?"
Diese letzte Frage ist besonders für Atlantisskeptiker interessant. Was würden sie verlieren, wenn Atlantis keine Erfindung wäre, sondern eine verzerrte historische Überlieferung? Würde es ihre Deutung Platons verändern? Auf welche Weise?